Setzen wir den Fall, israelische Streitkräfte hätten neun Staatsbürger der USA in internationalen Gewässern mit Schüssen in Kopf und Nacken umgebracht, wäre die Reaktion der amerikanischen Regierung berechenbar gewesen: Ohne lange auf irgendeine UN-Untersuchung zu warten, wären Eliteeinheiten der US-Armee in der Hafenstadt Haifa gelandet, um von dort aus der israelischen Regierung zu zeigen, was man mit den USA machen darf und was nicht.

Nun ist es bloß die Türkei, die brav auf einen UN-Bericht gewartet hat, der Israels Einsatz gegen Aktivisten der Gaza-Flotille vor einem Jahr als "exzessiv" und "unverhältnismäßig" kritisiert, und jetzt eine Entschuldigung fordert. Das, so sagt der deutsche Mainstream, ist natürlich etwas ganz anderes. Zwar hat der frühere Türsteher und heutige Außenminister Israels türkische Diplomaten gedemütigt, auch weist die israelische Regierung die türkische Forderung nach einer Entschuldigung geradezu höhnisch zurück, trotzdem wird dem Ministerpräsidenten der Türkei in der deutschen Öffentlichkeit die Schurkenrolle zugewiesen.

Am 21. September beginnt die UN-Generalversammung. Dort wird über den Antrag der Palästinenser für eine staatliche Anerkennung abgestimmt werden. Natürlich werden die USA im Sicherheitsrat ihr Veto einlegen. Dem wird die Mehrheit der Versammlung eine Anerkennung des Palästinenser-Staates als "permanenter Beobachter", dem Status des Vatikan vergleichbar, entgegensetzen. Im Vatikanstaat hat keine fremde Armee etwas zu suchen. Welche Lehren die israelische Armee aus diesem völkerrechtlichen Faktum ziehen wird ist abzusehen: Keine.

Wie schon im Fall der Gaza-Flotille, wird Israels Regierung die eigene Lage verkennen: Wäre es im Fall der Türkei schon mit einer simplen Entschuldigung getan, hätte man mit redlichen Verhandlungen zwischen Israel und der palästinensischen Autonomiebehörde eine Besserung der Lage im Dialog erreichen können. Statt dessen wird der Bau israelischer Siedlungen, bewaffneter Trutzburgen auf palästinensischem Gebiet, unbekümmert fortgesetzt: Inzwischen lebt eine halbe Million Israelis dort, wo sie, selbst nach der Auffassung der amerikanischen und der deutschen Regierung, kein Wohnrecht haben.

Die nächste israelische Barrikade auf dem Weg zum Frieden mit den Palästinensern, ist die Forderung, sie sollten vor Verhandlungen Israel als "jüdischen" Staat anerkennen. Abgesehen von dem kindischen Spielchen Ich-rede-erst-mit-dir-wenn ich-anerkannt-bin, ist die Forderung maßlos: Sie ignoriert die etwa 20 Prozent Palästinenser, die zwar israelische Staatsbüregr sind aber natürlich keine Juden. Zudem ist eine Mehrheit der Israelis nicht religiös.

Es sind zumeist Länder, die von der Rückständigkeit regiert werden, die als Religionsstaaten firmieren: Die "islamische" iranische Republik, die "islamischen" Republiken Afghanistan oder Pakistan. Solche Staaten sollte nicht einmal die rechte Regierung Israels kopieren wollen. Wenn also nicht der jüdische Gottesstaat gemeint ist, bliebe nur noch der jüdische Rassestaat. Diese Deutung müsste, nach Hitler und inmitten der Erkenntnisse der genetischen Wissenschaft, eigentlich ausgeschlossen sein. So entlarvt sich diese Anerkennungs-Forderung als billiger, unseriöser Trick, um keine Verhandlungen führen zu müssen und, mit dem Mittel des Siedlungsbaus, ein palästinensisches Staatsgebiet unmöglich zu machen.

Der israelische Historiker Yehuda Bauer bescheinigte der aktuellen israelischen Regierung jüngst eine "Identitätskrise, die am besten durch Psychologen zu lösen wäre." Das ist eine höfliche Formulierung. Angesichts der Perspektivlosigkeit israelischer Politik, darf man die Damen und Herren in Jerusalem durchaus als verrückt bezeichnen. Selbst Avi Primor, Israels Ex-Botschafter in Deutschand, begreift sein Land als zunehmend gefährlich isoliert. Neben Amerikanern und Deutschen sieht er noch "Rechtsextremisten und Islamfeinde in aller Welt"an der Seite Israels. Und er kommentiert: "Soweit ist es gekommen.""

Aber was ist schon normal? Deutschland wird, in schöner Gemeinschaft mit den USA, am Ende dieses Monats gegen die staatliche Anerkennung der Palästinenser stimmen und so den Nahost-Konflikt weiter betonieren statt ihn zu lösen. Wer immer sich kritisch mit der Politik Israels auseinandersetzt, wird schnell an die besondere Verantwortung der Deutschen gegenüber den Israelis erinnert, die aus dem millionenfachen deutschen Mord an den europäischen Juden resultiert. Dass gerade diese besondere Verantwortung gebietet, der Regierung Netanjahu einen anderen Weg anzuraten, einen, der wegführt von der religiös-rassistischen Politik-Variante, ist am begrenzten Horizont der Merkels und Westerwelles offenkundig nicht in Sicht.

Während der türkische Ministerpräsident durch die sich verändernde arabische Politk-Landschaft zieht und für ein laizistisches, von der Religion fernes Regierungs-System wirbt, beschliesst sein früherer Partner, die israelische Regierung, ein Gesetz, das Einwanderern einen Treuschwur auf den explizit jüdischen Staat abverlangt. Spätestens hier wird klar, wer in diesem Politik-Stück die Rolle des reaktionären Schurken einnimmt. Dass die deutsche Regierung der israelischen auch bei dieser schlechten Inszenierung zur Seite steht, sagt viel über deren Verständnis von Freiheit aus: Man ist so frei, das Falsche zu sagen und zu tun.