"Unter einem Baum", antwortete einer der in Hamburg vor Gericht stehenden somalischen Piraten auf die Frage, wo er denn geboren sei. Gekapert hatten er und seine Mitangeklagten ein Schiff, das zwar unter deutscher Flagge fährt, dessen Mannschaft aber mehrheitlich aus Sri Lanka kommt. Solchen Leuten muss man keine normalen Löhne zahlen. Immerhin wohnen sie nicht unter einem Baum. Gäbe es eine Landkarte der weltweiten Kriminalität, dann könnte man ablesen, dass sich Verbrechen immer in den ärmsten Ecken der Städte und Länder ballt. Es wäre also vernünftig, neben oder sogar vor dem Einsatz von Polizei und Justiz, die Ursachen der Armut zu bekämpfen.

Seit Mitte November 2008 sendet die EU, mit ihr auch Deutschland, ihre Streitkräfte vor die somalische Küste auf Piratenjagd. Als die Piraterie vor Somalia begann, da waren Schiffe der EU auf der anderen Seite. Raubfischerei schwimmender europäischer Fischfabriken in der 12-Meilen-Zone vor der somalischen Küste wurden von der europäischen Marine nicht verfolgt. Der somalische Staat, im Verfall begriffen, konnte seine Küsten nicht schützen. Die Verluste der Somalis durch illegale Fischerei, rund 94 Millionen Dollar pro Jahr, ersetzte ihnen niemand. Die einheimische Fischerei ging weitgehend bankrott. Sie produzierte keine Fische mehr sondern Armut.

Deutsche Soldaten waren, gemeinsam mit einem internationalen Kontingent, schon einmal in Somalia. Als Busch der Ältere 1992 seine "Neue Weltordnung" ausrief und das kaputte Somalia temporär besetzte. Die Kosten des erfolglosen Einsatzes betrugen 50 Millionen Dollar. Davon hätte man alle somalischen Fischer inklusive ihrer Familien ganz schön lange ernähren können. Die Jahreskosten der Bundeswehr-Schiffspatrouillen vor Somalia liegen bei 45 Millionen Dollar. Jede Menge Geld also, das man zur Bekämpfung der internationalen Fischpiraterie hätte einsetzen können. Doch wie peinlich, wenn man EU-Schiffe hätte aufbringen müssen.

Dass der Einsatz deutscher Fregatten verfassungswidrig ist, stört unterschiedliche Regierungen, die seit Jahr und Tag deutsche Soldaten in diese oder jene Länder schicken, wenig. Obwohl das Grundgesetz nur einen Angriff mit Waffengewalt auf das Bundesgebiet als "Verteidigungsfall" vorsieht. In unserer Verfassung ist weder zu lesen, dass das Horn von Afrika deutsches Gebiet ist, noch dass die Freiheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt werden muss. Und so erleben wir in diesen Tage die unangenehme Kuriosität, dass Somalier, die internationales Recht brechen in Hamburg vor Gericht stehen, während deutsche Minister und Kanzler, die deutsches Recht brechen, immer noch frei herumlaufen.

Die "Likedeeler", die "Gleichteiler", jene Piratengruppe, die gegen Ende des 14. Jahrhunderts Nord-und Ostsee unsicher machte, rekrutierte ihr kriminelles Führungs-Personal wesentlich aus verarmten mecklenburgischen Adelsgeschlechtern. Die schwere Agrarkrise des 14. Jahrhunderts setzte offenkundig jede Menge krimineller Energie frei, die, wie bis heute üblich, zur Umverteilung ermunterte: Arm klaut bei Reich. Wo sonst? Dass im späten Mittelalter die Antwort auf Armut militärisch ausfiel, wundert wenig. Dass Deutschland bis heute keine neuen Antworten gefunden hat, verwundert nur den, der Merkel oder Guttenberg für politikfähig hält.