Es war einfach großartig: Zwei Vertreter der Großen Koalition, kaum gestört von der Moderation und den anderen Gesprächspartnern, konnten ihre kleinen Differenzen offen austragen: Kurt Beck polterte für die SPD, Jürgen Rüttgers süffisierte für die CDU und die Sabine Christiansen, mit neuerdings schwarz gefärbten Haaren, lächelte wissend, geheimnisvoll und gedankenverloren.
Tatsächlich muss die arme Moderatorin jeden Gedanken verloren haben, denn zum Thema Arbeitsplatzverlust und Hungerlohn hatte sie sich ausschließlich Leute eingeladen, die einfach nicht kontrovers diskutieren konnten: »Für so wenig Lohn, das ist doch nicht moralisch, Herr Rüttgers! - »Genau, Herr Beck, das machen wir nicht mehr mit!« Irgendjemand hätte der Moderatorin vorher sagen müssen, dass die beiden Herren gemeinsam durch eine Koalition verbunden sind und dass weder die eingeladene Bishöfin Käßmann noch Rene Obermann von der Telekom in der Opposition sitzen oder Arbeitnehmervertreter sind.
»Rendite statt Respekt« lautete das Thema in den Abendstunden der ARD und niemand der Anwesenden bezweifelte den immensen Erfolg der Merkel-Regierung. Nur manchmal gäbe es doch für diesen und jenen zu wenig Lohn, und wenn der dann zum Arbeitsamt müsse, dann sei das doch entwürdigend und es könne doch, bitteschön, nicht immer nur um die Unternehmensgewinne gehen. Dass galoppierende Armut das Land kennzeichnet, dass Kinder ohne Pausenbrot in die Schule kommen und abends hungrig zu Bett gehen, davon keine Rede. Nicht einer der Beteiligten wagte die Arbeitslosenzahlen der Bundesregierung als das zu bezeichnen, was sie sind: Verlogen.
Die Moderatorin war so blendend vorbreitet, dass sie sogar von einem »alten Grundsatz« erzählte, nachdem das Eigentum verpflichten solle, zu was auch immer. Richtig Frau Christiansen: Damals, nach dem Krieg, da gab es irgendwelche Leute, die hatten irgendwie Grundsätze und sich dann verpflichtet. Aber das ist lange her, und wer sollte heute noch das Grundgesetz kennen. Der Telekom-Chef, der sanft daran erinnert wurde, dass er Massenentlassungen zu verantworten habe, durfte ungestraft erneut Hartz IV loben und sich als Retter seiner Belegschaft aufspielen. Zwischendurch sagte mal Herr Beck »Falsch!«, dann der Rüttgers »Richtig!« und dann wechselten sie wieder die Positionen.
Es gab Gerüchte, dass dieser Christiansen-Talk von Anne Will übernommen worden sei. Das darf man nicht glauben. Denn Anne Will hatte schon beim guten alten SFB bewiesen, dass sie sensible Fragen stellen und durch solide Vorbereitung ein Gespräch inszenieren konnte. Auch hatte man bei ihr immer den Eindruck, dass sie nicht einfach im Mainstream badete, sondern auch mal gegen den Strom schwimmen konnte. Deshalb können die Gerüchte einfach nur Gerüchte sein. Allerdings ist die Knete, die man mit der Produktion einer solchen Sendung machen kann, so außerordentlich, dass die kluge Anne Will vielleicht doch einfach nur schlau geworden ist.