Energisch schaut der Seehofer Horst aus der Anzeige für die "Wirtschafts Woche". Und kernig ist sein Werbespruch: "Man kann nicht alle Probleme der Wirtschaft mit Zuwanderung lösen. Manchmal reicht schon der Gang zum Kiosk", rät der Horst und meint, man solle die Probleme der Wirtschaft durch das Lesen der "Wirtschafts Woche" in den Griff kriegen. Heilige Einfalt! Was den Holtzbrinck Konzern, den Herausgeber der "WiWo" und Leisetreter unter den deutschen Medienriesen, ausgerechnet jetzt dazu bringt, den Seehofer zu stützen, wo der doch arg in der Karriereklemme steckt, ist nur zu erraten. Aber nehmen wir ihn ausnahmsweise ernst den bayerischen Ministerpräsidenten und lesen die "WiWo".
Schon im Leitartikel dieser Woche weiß der Chefredakteur, Roland Tichy, mehr als sein Sprücheklopfer aus der Anzeige: "Unsere Bevölkerung schrumpft . . . wir haben immer weniger junge Arbeitskräfte. Deutschland kann nicht mehr wachsen." Also doch nicht zum Kiosk, sondern zum Einwanderungsamt? Dass zumindest fordert ein großer Artikel in der "WiWo", pompös mit "Nie wieder arbeitslos" überschrieben, wenn er konstatiert: "Zuwanderer gesucht". Ja was nun? Seehofer oder Wirtschaftswoche? Beide nicht. Denn die "WiWo" behauptet, "die Massenarbeitslosigkeit verschwindet von selbst" und bläst so unbeirrt in das Horn vom Aufschwung, dass es quietscht.
Denn der sogenannte Aufschwung produziert zur Zeit rund 6,5 Millionen überschuldete Verbraucher und um 11,6 Prozent mehr Firmeninsolvenzen als im Vorjahr. Manchmal reicht schon der bloße Augenschein, um das Aufschwunggefasel zu widerlegen: Leere Schaufenster schauen trübe auf Straßen, die gestern noch Käufer kannten, geschlossene Kneipen zeugen von der geringen Binnenkaufkraft. Und die "WiWo" selbst weiß in der selben Ausgabe, in der sie einen rosa Vollbeschäftigungshimmel malt, von der Stagnation des Konsums zu erzählen und dem Chefredakteur fällt sogar auf: "Viele der neuen Stellen (die in der Arbeitslosenstatistik die Zahlen runterdrücken) . . . sind so schlecht bezahlt, dass sie kaum zum Leben reichen." Die Zielgruppe der "WiWo" sind die Entscheider in der Wirtschaft. Da wird nicht Von-der-Leyensch geredet, sondern Tacheles.
Auch wenn viel Abonnenten des Wirtschaftsmagazins die Verlängerung der Atomkraftwerkslaufzeiten begrüßt haben, macht es das Blatt doch nicht blind für die Weltentwicklung: "Das rote Imperium wird grün" überschreibt die Redaktion einen Artikel über den Ausbau der erneuerbaren Energien in China, 540 Milliarden Euro investiere die Volksrepublik in Wind und Solarenergie vermerkt das Blatt neidisch. Und sieht den alten Vorreiter Bundesrepublik bei den Solarzellen auf den vierten Platz der Welt-Marktanteile sacken. Auch bei den Windkraftanlagen liegen die Chinesen inzwischen vor Deutschland. Warum in dieser Situation die AKW-Betreiber maßlos begünstigt werden und der Ausbau alternativer Energien gebremst, wird nur so ein kluger Kopf wie Horst Seehofer beantworten können, vielleicht assistiert von Angela Merkel.
Wenn die "WiWo" in manchen Fragen klüger ist als Horst Seehofer, ist das keine Kunst. Klug genug für die Arbeitsmarkt-Erkenntnis, "dass sich beileibe nicht jeder Arbeitslose zum Ingenieur hochbilden lässt", ist das Blatt schon. Aber für die weiterführende Frage nach Bildung- und Ausbildung, nach der Hauptschul-Sackgasse und der Herkunfts-Einbahnstraße, bleibt der Zeitung kein Atem. Doch wer Seehofer, den Verlierer des Monats, zum Anzeigenmotiv macht, der wird, auch wenn er wie der Verleger Dieter von Holtzbrinck zu den reichsten Menschen Deutschlands zählt, das heiße Wasser nicht erfunden haben. Aber vielleicht war der Milliardär an dieser Entscheidung gar nicht beteiligt. Vielleicht hat der Chefredakteur, früher im Stab von Helmut Kohl, nur einem alten Kumpel aus dessen Karriereverlegenheit helfen wollen. Immerhin stellt der Mann, mit Blick auf die Weltwirtschaft, die richtige Frage: "Es ist eben Party. Fragt sich nur, wo?"