Nun glauben sie ihn erwischt zu haben: Die Bild-Zeitung höhnt, Klaus Theweleit hält es für eine Reklameaktion und der selten kluge, polnische Expräsident Lech Walesa spricht dem Günter Grass die Ehrenbürgerschaft der Stadt Danzig ab. So, als habe Grass ein schweres Verbrechen begangen, als käme sein spätes Eingeständnis, als 17-Jähriger Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, einer engen Komplizenschaft mit Hitler gleich.

Die jungen Deutschen, die am Ende des Krieges in der Wehrmacht oder der Waffen SS einen immer sinnlosen, häufig grauenhaften Dienst taten, konnten, je nach Einsatztort, an Verbrechen über die normale Kriegführung hinaus beteiligt gewesen sein. Der militärische Einsatz des Günter Grass deutet auf nichts Besonderes hin: Verwundet worden sei er und davon gelaufen, an Rückzugsgefechten beteiligt und dann in amerikanische Gefangenschaft gekommen. Es bleiben die SS-Runen am Kragenspiegel seiner Uniform, es bleibt das lange Schweigen.

Aus der Deckung kommen jetzt gerne jene, die seine Einsprüche zur Entwicklung der deutschen Gesellschaft nie haben dulden mögen: Der Talkshow-Gast und Schrifthinrichter Karasek unterstellt ihm "neue Kohlen in ein fahles Feuer" werfen zu wollen, meint: Als Schriftsteller taugt er nichts mehr, der Grass, also greift er jetzt zum SS-Marketing. Joachim Fest, will keinen Gebrauchtwagen von ihm kaufen: Der Hitlerbiograph Fest ist der schreckliche Historiker, der in der Münchner Räterepublik Juden entdeckte und deshalb unterstellte, dass damit dem Hitler Vorwände für seinen Antisemitismus geliefert worden seien. Und der Bundeswehr-Professor Michael Wolffsohn meint gar, dass Grass mit seinem Schweigen, als Reagan und Kohl in Bitburg die Gräber der Waffen SS besuchten, die beiden Politiker in die Messer öffentlicher Kritik habe laufen lassen. Hätte Grass sich also früher bekannt, dann wäre das Händchenhalten an den Gräbern einer Mörderorganisation soweit in Ordnung gewesen?

Was und wer sich immer zur Zeit gegen Günter Grass formiert, beweist nichts anderes als die Lebendigkeit des Grassschen Werkes und seiner gesellschaftlichen Position. Sein langes Schweigen kann nur Grass selbst erklären und was bisher dazu von ihm zu lesen ist, bleibt diffus. Ganz sicher wäre eine frühere Erklärung dem Günter Grass und der deutschen Öffentlichkeit nützlicher gewesen. Wie nützlich, darüber sollte man öffentlich nachdenken.

Grass, der ernsthafte Kritiker deutscher Vergangenheit und deutscher Tagespolitik, hat, durchaus seiner Moralfigur entgegen, sozialdemokratische Politik auch an Stellen verteidigt, an denen andere schwiegen oder in Tränen ausbrachen. Nur wenige Jahre, nachdem Willy Brandt in der "Berliner Stimme" zum Völkermord in Vietnam nichts anderes zu sagen wusste als , er wolle nicht "Lehrmeister" der Amerikaner sein, unterstützte er dessen Wahlkampf.

Im Grassschen Buch "Örtlich betäubt", in dem ein Schüler seinen Dackel aus Protest gegen den Krieg in Vietnam verbrennen will, lässt der Autor den Studienrat Starusch mäßigend eingreifen: "Wer die Welt verändern will, müsste zuerst den Menschen abschaffen." Das trägt ihm ein fragwürdiges Lob des "Times Magazine" ein "Grass ist ein fanatischer Anhänger der Mäßigung".

Dieser Anhänger der Mäßigung wollte dann im letzten Wahlkampf des Kanzlers Schröder auch andere zur Mäßigung aufrufen und unterschrieb, gemeinsam mit den Blüten der deutschen Wirtschaft eine Anzeige, die Hartz IV verteidigte und die Kritiker der Schröder-Reformen als Populisten bezeichnete, "die gnadenlos die Sorgen der Betroffenen für ihre Zwecke ausbeuten". Außer Grass und einigen wenigen anderen verstand die Mehrheit der Unterzeichner was vom Ausbeuten: Sie gehörten und gehören zur Gruppe der gnadenlosen Rationalisierer.

Vielleicht erklärt sich die "fanatische Mäßigung" aus dem langen Schweigen des Günter Grass. Aus dem Kompromiss mit sich selbst, könnte durchaus der Kompromiss als Richtschnur seines politischen Handelns entstanden sein. Wäre dem so, ließe das hoffen: Ein vom Schweigen befreiter Grass ist als politischer Akteur allemal besser, als eine von Reformredseligkeit geblähte Große Koalition, in der Günter Grass immer noch ein paar sozialdemokratische Freunde sitzen hat. So könnte das Ende einer örtlichen Betäubung auch das Ende fauler Kompromisse bedeuten: Herzlich willkommen, Günter Grass.

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