Allein drei Richter mit dem Namen Lynch gelten als Namensgeber des Begriffes "Lynch-Justiz": Charles, John und William Lynch. Alle stammen aus den USA. Ihr gemeinsames Merkmal war das willkürliche Urteil, ohne Verfahren, ohne Anhörung, ohne Beweisführung, ohne Öffentlichkeit. Die zivilisierten Länder der Welt haben dieser verbrecherischen Form der Justiz längst abgeschworen. Kleine Gruppen, meist Terroristen genannt, übten und üben sich gern in dieser Art Strafgerichtsbarkeit, die keinen Anwalt kennt, sondern nur Schuldige, die kein Gericht kennt, sondern nur das Urteil: Tod. Zumeist wird das Ergebnis solch ungesetzlicher Schnellverfahren von jubelndem Mob begleitet. Wie jüngst in den Städten der USA. Wie auch in den Medien der Bundesrepublik: "Erledigt" titeln die einen, "Zur Strecke gebracht" die anderen". Die Regierungen der westlichen Welt gratulieren den USA, wie sich die Jagdgemeinschaft nach dem Halali, nach der Erledigung des Stück Wild, beglückwünscht: Osama bin Laden ist tot.

Dass sich die USA mit ihrem Killer-Kommando zur Tötung des gesuchten bin Laden genauso verhalten haben wie ihr Feind, der Terrorismus, fällt kaum jemandem auf. Fast zehn Jahre nach dem Verbrechen, dessen bin Laden beschuldigt wird, wird er Opfer einer lang geplanten Todes-Operation. Gäbe es einen Richter, er könnte den Verantwortlichen für den Mord an bin Laden nicht einmal mildernde Umstände bescheinigen: Kein Totschlag im Affekt, kein Mord aus Leidenschaft mindert dieses Verbrechen. Im Gegenteil: Legt man die Maßstäbe des Völkerrechtes an, wird alles nur noch schlimmer. Denn auf dem Weg zum Tod des Mannes aus Saudi Arabien haben die USA den Krieg ohne Kriegserklärung in drei Länder getragen: In den Irak, nach Afghanistan und mit ihrem Mordkommando natürlich auch nach Pakistan. Denn ein bewaffneter Einmarsch des einen Land in ein anderes, sei er auch noch so kurz, gilt dem Völkerrecht als Akt der Aggression.

Doch neben dem internationalen Recht gibt es auch ein schlichtes Rechtsempfinden: Wahrscheinlich war Osama bin Laden verantwortlich für den Tod der vielen, unschuldigen Menschen in den USA am 11. September 2001. Ganz sicher verantwortlich sind die USA für die unendliche Zahl von Toten - vornehmlich Zivilisten, Frauen und Kinder - die in den Rachefeldzügen der USA auf der vorgeblichen Suche nach bin Laden umgekommen sind. Natürlich ist die Zahl der Ermordeten und Verkrüppelten in den Ländern, die von der Rache der USA erreicht wurden, längst um ein vielfaches höher, als jene, die von den fanatischen Islamisten des 9/11 umgebracht wurden. Wie wird diese Schuld gerächt werden? Man kann es sich ausrechnen: Mit den nächsten Terroranschlägen wird versucht werden, die unerträgliche Bilanz des Schreckens in ihrer primitiven Auge-um-Auge-Zahn-um-Zahn-Logik auszubalancieren. Um genau dieser Steinzeit-Justiz ein Ende zu bereiten, existiert seit dem Jahr 2002 der Internationale Strafgerichtshof in den Haag. Der führt unter dem Namen „Legal Tools-Projekt“ (LTP) unter anderem eine völkerstrafrechtliche Datenbank. Und hat sogar schon einen Haftbefehl gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt ausgeschrieben. Ein Präsident der USA war es nicht. Auch, weil die USA den internationalen Gerichtshof nicht anerkennen. In schöner Gemeinschaft mit Nordkorea, dem Iran und Saudi Arabien.

Bin Laden bezog seine mörderischen Überzeugungen aus dem Wahabismus. In seinem Heimatland Saudi Arabien ist diese besonders verbohrte Religion Staatsdoktrin. Die klerikal-faschistische, saudische Diktatur gehört zu den besten Freunden der USA. Als die Vereinigten Staaten den mutmaßlichen Anstifter der Anschläge vom 11. September 2001 in Afghanistan suchten, versteckte sich der zeitweilig in den Tora-Bora-Bergen, in einem Tunnelnetz das die USA finanziert hatten. Die Tunnel beherbergten lange Zeit andere alte Freunde der USA: Die Taliban, bewaffnet und dirigiert vom amerikanischen Geheimdienst CIA im Kampf gegen die Truppen der Sowjetunion. Das alles hätte vor dem Internationalen Strafgerichtshof zur Sprache kommen können. Wenn das Mord-Kommando der USA sich als Polizeitruppe zur Ergreifung des Osama bin Laden verstanden und den Mann nach Den Haag verbracht hätte. Aber dann wäre auch George Bush ein Kandidat für die Ankläger geworden. Der letzte große, kriegstreibende Lynch-Richter der USA. Das kann das zweierlei Recht, das die USA für sich gepachtet haben natürlich nicht aushalten. Da tritt der mit vielen Hoffnungen gestartete Barack Obama lieber in die Blutspur, die ihm viele andere US-Präsidenten vorgezeichnet haben und begibt sich auf die Ebene seines Feindes. Um so zum Richter Lynch zu mutieren: Obama bin Laden.