Es soll Afghanen geben, die den unangekündigten Besuch des ehemaligen Fallschirmjägers und jetzigen Entwicklungsministers Dirk Niebel in Afghanistan für hinterhältig halten: Kommt in ein fremdes Land, sagen sie, meldet sich nicht an, verbreitet schon wegen seiner korpulenten Gestalt Angst und Schrecken, ist Hauptmann der Reserve bei den gefürchteten Fallschirmjägern und verfolgt finstere Zwecke in Afghanistan. Google googlet fast nichts in den 49 Sprachen und 200 Dialekten, die in Afghanistan gesprochen werden. Wer aber die deutsche Google-Version nutzt und die Worte "hinterhältig" und "Afghanistan" eingibt, der kommt mühelos auf 72.000 Treffer. Allerdings handeln sie kaum von Niebel. Sie haben ein Feuergefecht zwischen der Bundeswehr und afghanischen Kämpfern zum Gegenstand, bei dem drei deutsche Soldaten starben.
Man muss sich immer erinnern, dass Goebbels´ Reichspropaganda-Ministerium nicht mehr existiert - jenes zentrale Instrument, das die Worte des Führers von den großen Rundfunkstationen bis zur kleinsten Provinz-Zeitung getreu verbreitete - wenn man den deutschen Medien lauscht oder sie liest. Denn die Bundeskanzlerin hatte die Sprachreglung ausgegeben, sie war sich sicher, dass es sich um einen "verabscheuungswürdigen und hinterhältigen Angriff auf unsere Soldaten" handeln müsse und alle, von der ARD bis ZDF, von der AACHENER ZEITUNG bis zur ZEIT, referierten die goldenen Worte der Kanzlerin getreulich.
Aussenminister Westerwelle, von einer Merkel-Solidarität erfasst oder schlicht einfallslos, schließt sich der Kanzlerin an: "Ich verurteile diesen hinterhältigen Angriff". Der SPD-Fraktionsvorsitzende, Frank-Walter Steinmeier, hält auch keine größere Variationsbreite bereit und stimmt in den Chor ein, wenn er von einem "feigen und hinterhältigen Anschlag" redet. Jürgen Trittin löst sich aus dem Hinterhalt mit der arabesken Analyse, dass der jüngste Überfall auf die Bundeswehr zeige, "dass die Realität in Afghanistan nach wie vor in der Darstellung der Bundeswehr ausgeblendet" werde. Das ist kühn. Nicht nur, dass er zu einer geradezu eigenständigen Formulierung in der Lage ist, er sieht auch eine ausgeblendete Darstellung. Wenn das so weiter geht, wird er eines Tages sogar eine dargestellte Ausblendung erkennen.
Aus den sogenannten Nachrichten deutscher Medien erfährt man, dass es sich um 200 "Taliban" gehandelt haben soll, die in den Kampf verwickelt waren. Über die Zahl der beteiligten deutschen Soldaten erfährt man nichts. Trägt man verstreute Informationen zusammen, weiß man von den 110 Euro täglich, die ein Bundeswehrsoldat in Afghanistan als Zulage erhält. Man kann aber auch wissen, dass beim jüngsten Gefecht das gepanzerte Fahrzeug "Dingo" eingesetzt wurde. Der "Dingo" verfügt neben einem schweren Maschinengewehr auch über eine Klima-Anlage und eine Standheizung. Je nach Ausrüstung kostet er zwischen 600.000 und zwei Millionen Euro. Bei den afghanischen Kämpfern findet man meist Kalaschnikows und Panzerfäuste. Klima-Anlagen wurden noch nicht gesichtet. Gibt man den Begriff "hinterhältig" und "Tanklaster" bei Google ein, gelangt man immerhin zu 780 Treffern. Wer jetzt denkt, ZDF oder AACHENER ZEITUNG hätten den letztjährigen Bombenanschlag auf afghanische Zivilisten rund um einen Tanklaster als hinterhältig gewertet, denkt falsch: Die 780 Treffer sind eher Verknüpfungen mit dem aktuellen "Hinterhalt".
Der ISAF-Kommandeur für Nordafghanistan, Brigadegeneral Frank Leidenberger, sieht keinen Anlass für einen Strategiewechsel: „Die Lage ist unverändert. Es ist auch ganz klar, dass die Opfer, die gebracht werden, nicht umsonst sein dürfen. Es ist sicher eine schwierige Phase, aber wir sind hier, um diesen Auftrag zu einem erfolgreichen Ende zu führen.“ Da ein deutscher General nicht hinterhältig sei kann, muss es sich bei dieser Logik um einen Vorderhalt handeln: Mehr deutsche Tote verlangen mehr Einsatz, noch mehr Tote noch mehr Einsatz, so kann es die nächsten zwanzig Jahre weitergehen. Wenige Stunden nach den deutschen Toten gab es fünf weitere: Die Bundeswehr, so ist im Kleingedruckten der Nachrichten zu bemerken, hat "versehentlich" fünf Soldaten der regulären afghanischen Armee erschossen. Natürlich völlig fair aus dem Vorderhalt. - Dirk Niebel wird die überlebenden deutschen Soldaten der jüngsten Kriegshandlung besuchen. Unangemeldet. Versteht sich. Ob die 110 Euro täglich das wert sind?