Es gibt blöde Juden. Und es gibt kluge Juden. Das ist bei Katholiken und Protestanten nicht anders. Auch deshalb sollte sich jeder vor Verallgemeinerungen hüten. Als der Bundestag jüngst in einer aktuellen Stunde zum Antisemitismus-Vorwurf gegen die Linkspartei antrat, war die Verallgemeinerung das Hauptinstrument einer scheinbar pro-semitischen Kampagne: Israel-Kritik wurde, von einer sehr großen Koalition von CDU-CSU-SPD-GRÜNE-FDP, mal wieder für Antisemitismus ausgegeben. Natürlich gibt es in der Linkspartei Leute, die Kritik an der israelischen Regierung üben. Aber eine Regierung ist nicht das ganze Israel. Und in Israel leben mal gerade 75 Prozent Menschen, die der jüdische Religion zugezählt werden. Der Rest besteht wesentlich aus solchen Israelis, die man eher zur islamischen Religion zählen darf. Und auch jüdische Israelis kritisieren, wenn sie bei Verstand sind, ihre aktuelle Regierung. Wer also Israel-Kritik pauschal für Antisemitismus hält, macht sich jene rassistische Position zu eigen, die er vorgibt zu kritisieren. Deshalb ist Israels Premier, Benjamin Netanjahu, der selbstverständlich auch Kritik an seiner Regierung für antisemitisch hält, zumindest blöd. Zudem ist er wahrscheinlich auch noch antisemitisch.

Im September wird die UNO-Vollversammlug ganz sicher über die Anerkennung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 debattieren. Dass die Vollversammlung, trotz eines wahrscheilichen Vetos der USA, einen palästinensischen Staat befürworten wird, ist sehr sicher. Warum auch nicht? Selbst die Weltbank, kaum als pro-palästinensisch bekannt, hält die Palästinenser für staatsreif. Benjamin Nentanjahu sieht das anders. Ja, es könnte vielleicht einen Palästinenserstaat geben, sagt er. Aber keinesfalls in den Grenzen von 1967. Und keinesfalls mit einer eigenen Armee. Und keinesfalls mit einem Teil Jerusalems als Hauptstadt. Und die jüdischen Siedlungen sollten im wesentlichen dort bleiben wo sie sind. Also eigentlich soll alles so sein wie jetzt: Ein palästinensischer Flickenteppich, auf dessen Flicken bereits jetzt (Westjordanland und Ostjerusalem) rund eine halbe Million durchweg bewaffneter Juden leben, und auf denen auch künftig die israelische Staatlichkeit mit all ihren quälenden Grenzkontrollen, ihren willkürlichen Militärpatrouillen und ihren demütigenden Herrschaftsgesten, die Palästinenser unterdrücken wird. Insofern wirkt die kommende UNO-Vollversammlung wie eine glimmende Zündschnur an einem Pulverfass. Sie nicht auszutreten, sie nicht durch ehrliche Verhandlungen mit den Palästinensern zu entschärfen, provoziert die nächste Intifada, den bewaffneten Kampf der Palästinenser. Ein Kampf, in dem jede Menge Araber wie Israelis ums Leben kämen. Und da beide Volksgruppen eine semitische Sprache sprechen (arabisch oder hebräisch), muss man Netanjahu, der diesen Krieg bewusst riskiert, als Anti-Semiten bezeichnen.

Nun gilt in Deutschland - in anderen westlichen Ländern ist das ähnlich - der "Sechstage-Krieg" von 1967, in dem Israel sich die vielen schönen, von Arabern bewohnten Gebiete unter den Nagel gerissen hat, als gerechte Strafe der Palästinenser. Warum, so die allgemeine Lesart, haben sie 1967 auch den Krieg angefangen? Es ist im Nahost-Konflikt immer schwierig herauszufinden, wer wann welchen Krieg angefangen hat. Deshalb ist der ehemalige israelische Premier, Menachem Begin, ein solider Zeuge, der hatte 1982 eingestanden, dass die Initiative zum Sechstage-Krieg von Tel Aviv ausging und die ägyptischen Maßnahmen keinen Beweis für einen unmittelbar bevorstehenden Angriff auf Israel darstellten. Wer allerdings die weitergehende Natanjahu-Position einnimmt, nach der die ganze Gegend, das biblische Judäa und Samaria, altes jüdisches Gebiet sein soll, nach dem Motto: Wir waren zwar mal 2.000 Jahre weg, aber jetzt sind wir eben wieder da, dem ist schwer zu helfen. Der glaubt auch, dass Spanien zu Deutschland gehört, weil das germanische Volk der Westgoten auf der iberischen Halbinsel lange Zeit sesshaft war. Zu solch außergewöhnlich dummen Gläubigen gehört offenkundig auch die deutsche Kanzlerin, die jüngst im Zusammenhang mit Israel und den besetzten Gebieten von einem Recht auf einen "jüdischen Staat" sprach. Was sollen denn dann bloß die Araber, die Drusen, die Armenier und die Alawiten machen, die alle in Israel wohnen? Auswandern, wenn der israelische Premier und Frau Merkel den jüdische Gottesstaat ausrufen? Oder werden die dann, im Zuge der Judaisierung Israels, nur hinter den Lagerzaun gesperrt, hinter dem heute schon die Mehrheit der Andersgläubigen lebt?

Nach der relativ neuen westlichen Haltung gegenüber arabischen Aufständen, müsste im September dieses Jahres, wenn die Palästinenser ihr Recht auch bewaffnet einfordern werden, und der Staat Israel bewaffnet zurückschlägt, die NATO israelische Regierungsgebäude bombardieren und versuchen, Natanjahu oder Mitglieder seiner Familie zu töten. Denn die Palästinenser sind weit legitimierter zum militärischen Kampf als zum Beispiel die libyschen Rebellen: Es gibt bereits einen UNO-Beschluss gegen die völkerrechtlich nicht zulässige Besetzung der Palästinensergebiete, es gibt dort eine demokratisch gewählte Regierung und die ist bereits jetzt von mehr als 100 Staaten anerkannt. Aber natürlich werden die Merkels und Netanjahus den berechtigten, wenn auch verzweifelten Aufstand der Palästinenser wieder als "Terror" qualifizieren und alle, die dann Israel und seine Gegenmaßnahmen kritisieren, als "Antisemiten" bezeichnen. Die blutige Blödheit des Nahost-Krieges kann dann in die nächste Runde gehen.