So kämpferisch hatte man den deutschen Außenminister zuletzt bei der Mehrwert-Steuersenkung für Hoteliers erlebt: Es würde in Libyen, sagt er, ein "neues Kapitel in der Menschheit" geschrieben. Das ist der selbe Westerwelle, der im Fall demokratischer Entwicklungen in Ägypten tagelang mit sich gerungen hatte, ob er seinen alten Freund Mubarak fallen lassen sollte und dessen Verteidigungsexperte, Elke Hoff, quälend lange brauchte, um den Stop von Waffenexporten nach Ägypten auch nur zu "prüfen", dieser Westerwelle kann und will jetzt plötzlich handeln: Ein Flugverbot über Libyen möchte er keinesfalls ausschließen.
Auch die in der Zeit ägyptischer Veränderungen geradezu versteinerte Hillary Clinton, ist seit den Aufständen in Libyen hellwach. Zum Thema einer möglichen Flugverbotszone ist sie sicher: "Dies ist eine Option, die wir aktiv in Erwägung ziehen", und lässt schon mal ein paar Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge vor die Libysche Küste verlegen. Aus rein humanitären Erwägungen, versteht sich. Auch die Finanzen des Gaddafi-Clans konnten ruck-zuck eingefroren werden, während im Fall Mubarak erst die ägyptische Staatsanwaltschaft tätig werden musste, um dem Westen ein Beispiel von Recht und Ordnung abzuringen.
Wer jetzt ein Flugverbot im libyschen Luftraum, zum Schutz der libyschen Bevölkerung vor Bombardements der eigenen Luftwaffe befürwortet, dessen Motive müssen keineswegs humanitär sein: Flugverbotszonen, so zeigen die bisher einzigen Beispiele im Irak (1991) und Bosnien (1993) münden später in den Einsatz von Bodentruppen und eine anschließenden militärischen Besetzung. Angesichts der vielen Waffen, die der Westen seit Jahren nach Libyen liefert (italienische Kampfflugzeuge, portugiesische Drohnen und deutsche Störsender), wären längere, schwere Kämpfe unter der eben jene Zivilbevölkerung leiden müsste, die man zu schützen vorgibt, kaum auszuschließen.
Der gravierende Unterschied zwischen Ägypten und Libyen hat einen Namen: Öl. Libyen ist Deutschlands drittgrößter Öl-Lieferant. In Libyen lagern die größten nachgewiesenen Öl-Reserven Afrikas. Das deutsche Energie-Unternehmen RWE hat dort eine Lizenz zur Gasförderung erworben und der britische Öl-Multi BP hat 600 Millionen Euro investiert. Das verspricht ein besseres Geschäft zu werden, als die Inthronisierung des libyschen Königs Idris I. durch die Engländer Anfang der 50er Jahre. Und gute Geschäfte müssen geschützt werden. Am besten durch eigene Truppen und nicht durch irgendwelche Stammeskrieger, die, eh man sich versieht, das Wort Demokratie wirklich ernst nehmen könnten.
Eine möglich Stationierung von NATO-Truppen in Libyen, niemand anderes käme für Flugverbote und ihre Folgen infrage, würde auch zur "Stabilisierung" der Bewegungen in Tunesien und Ägypten beitragen wie die NATO sie versteht: Ein westlicher Militäreinsatz in Libyen müsste das ägyptische Militär einbeziehen und so das Kräfteverhältnis auch in Ägypten verändern. Vielleicht deshalb hat der Vorsitzende der libyschen Übergangsregierung, Mustafa Abdul Dschalil, klargestellt: "Wir wollen keine ausländischen Soldaten hier." Das hindert die USA und EU offenkundig nicht daran, das Flugverbot weiter zu kalkulieren.
Aber möglicherweise dienen die amerikanischen Flugzeugträger ja nur dazu, die vielen Flüchtlinge im Mittelmeer zu retten und sie in europäische Länder zu bringen, in denen sie so lange aufgenommen werden, bis in ihren Herkunftsländern die Gefahr für Leib und Leben - auch jene, die man Hunger nennt - geringer geworden ist. Dann allerdings wäre wirklich ein "neues Kapitel" in der Geschichte der Menschheit aufgeschlagen. Aber das hat Westerwelle mit Sicherheit nicht gemeint.