Endlich: Der ehemalige Stabsarzt der Bundeswehr, Philipp Rösler, jetzt Wirtschaftsminister, bekennt sich zum NATO-Einsatz in Libyen: "Unser tiefer Respekt und unsere Dankbarkeit gelten auch unseren Verbündeten, die Gaddafis Mordeinheiten entscheidend in den Arm gefallen sind." Das wurde aber auch höchste Zeit. Denn jetzt, in den nächsten Tagen und Wochen, werden die Öl-Lizenzen neu verteilt. Und Abd a-Dschali, Chef der libyschen Übergangsregierung hatte schon am 13. März, genau ein Tag nach der Forderung, der UN-Sicherheitsrat möge eine Flugverbotszone einrichten, gedroht, dass Länder, die den Aufstand gegen Gaddafi nicht unterstützten, keinen Zugang zu Libyens riesigen Ölvorkommen bekommen würden, wenn das Regime gestürzt sei. Jetzt also Rösler, spät aber vielleicht nicht zu spät, auf dem Trittbrett der NATO.

Der NATO war, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, der Feind abhanden gekommen. Sie suchte nach neuen Aufgaben. Schon im Jugoslawienkrieg hatte sie, als neues Betätigungsfeld, das Nation-Building geprobt: Wo früher ein Staat war sind nun sieben. Aber dieser Job war eher noch eine alter Kalte-Kriegs-Reflex: Der Einfluss Russlands musste eingedämmt werden. Später, in Afghanistan, schälte sich dann das neue NATO-Konzept endgültig heraus: Eine missliebige Regierung und eine interessante Rohstoffquellen-Sicherung verlockten zum militärischen Eingreifen. Gut, der Versuch dauert bis heute an, das Ziel, eine durch die NATO legitimierte Regierung am Leben zu erhalten, scheint zweifelhaft, aber beim ersten Mal zahlt man immer Lehrgeld.

Da war dann die Lage in Libyen doch ganz anders: Im Februar gab es richtige Rebellen gegen das System. Zwar war die libysche Regierung völkerrechtlich anerkannt. Auch hatten NATO-Partner-Staaten dem Gaddafi-Regime über Jahrzehnte Waffen verkauft. Und an der demokratischen Substanz der Rebellen kamen arge Zweifel auf, als die mit der Fahne des ehemaligen, reaktionären libyschen Königreich herumliefen. Auch, dass der Chef der Übergangsregierung bis fünf vor zwölf noch ein treuer Funktionär der Gaddafi-Regierung war, interessierte die westliche Öffentlichkeit nicht. Eine echte, bewaffnete Revolution, die sie in den eigenen Ländern im Nullkommanix zerschlagen hätten, das war doch mal was! Während der unbewaffneten Jugend in Spanien, Griechenland oder England von der Polizei schnellstens gezeigt wurde, wo die Grenzen der Regierungskritik lag, jubelten die Mainstream-Medien auch in Deutschland auf: Endlich ein Krieg in den der Herr Redakteur keinesfalls selbst ziehen musste, dessen Nachrichten aber die Auflage erhöhten.

"Morgendämmerung der Odyssee" nannten die USA ihren Libyeneinsatz. Und wie Odysseus irrten die Piloten und Seeleute der NATO-Truppen über und um Libyen herum. Denn der Diktator hatte Anhänger, das war nicht vorgesehen. Eigentlich hätte er in ein paar Wochen erledigt sein sollen. Doch seine Sympathisanten sahen das anders. Auch waren die lupenreinen Demokraten auf der Rebellenseite ein wenig wirr: Im Streit um die Nachkriegsgewinne erschossen sie im Juni den bisherigen Oberbefehlshaber der Rebellenarmee Abd al-Fattah Yunis. Just zu dem Zeitpunkt, als Oberst Khalifa Belqasim Hafta aus dem amerikanischen Exil zurückkehrte, der den Oberbefehl über die Rebellen-Armee übernehmen sollte. Doch auch der konnte den von der NATO gewünschten Sieg nicht richtig beschleunigen.

Was blieb der armen NATO anders übrig als, entgegen dem UNO-Mandat das nur den Schutz der Zivilbevölkerung vorsah, doch gezielt zugunsten der Rebellen einzugreifen: Luftschläge gegen die Gaddafi-Armee, Raketen auf Regierungsgebäude und das was man dafür halten wollte. Und, trotz aller Dementis, die planvolle Verfolgung der Gaddafi-Familie. Doch obwohl die NATO-See- und Luftstreitkräfte faktisch Teil der Rebellen-Armee wurden, kam die Rebellion nicht richtig voran. Also mussten Bodentruppen an die Front: Spezialkommandos der Briten und Franzosen machten den schlappen Rebellen den Weg frei in die libysche Hauptstadt. Nun, sechs Monate und ein paar tausend Tote später, scheint der Sieg zum Greifen nahe. Über kleine Schönheitsfehler, wie jenen, dass die Rebellen jede Menge Waffen an islamistische Gruppen in Algerien geliefert haben, wird man vielleicht später reden. Wenn klar ist, wie die neue Regierung aussehen wird. Wird sie aus einem Konglomerat archaischer Stämme gebildet sein? Wird das Königshaus, mit einem Al-Senussi im Übergangsrat prominent vertreten, eine Wiederauferstehung erleben? Oder wird sich doch eher ein Karzai-Statthalter-Regime wie in Afghanistan entwickeln, das so begeisternd demokratische Wahlen vortäuscht?

Wie auch immer die Nachkriegslösung in Libyen aussehen wird, die NATO hat ihr neues Geschäftsmodell entdeckt. Ein Jammer, dass ihr das bei der "Grünen Revolution" vor zwei Jahren im Iran noch nicht gelungen ist. Aber das kann man ja nachholen. Auch Diktaturen wie China oder Nord-Korea könnten auf die Agenda kommen. Weißrussland soll ganz hinten auf der Einsatzliste stehen: Dort gibt es kein Öl. Syrien wäre auf dem Weg in den Iran zu erledigen. Allerdings wird in den NATO-Stäben vor wahllosem Diktatoren-Stürzen gewarnt: Diktatorische Bündnispartner wie Saudi Arabien oder Usbekistan sollen schön so stabil bleiben wie sie sind. An wen sollte man denn sonst noch seine Waffen verkaufen, wird von der Rüstungsindustrie besorgt gefragt. Beim nächsten NATO-Revolutions-Einsatz wird Philipp Rösler sicher nicht mehr anderen gratulieren müssen. Das erfolgreich Libyen-Modell wird künftig die Deutschen an der Seite der NATO-Truppen sehen, wenn es wieder heißt: Wir machen Revolution. Nur nicht bei uns.