Das deutsche Feuilleton schäumt: Erich Mielke, der Chef der DDR-Staatssicherheit, hatte 1967 einen seiner Agenten auf einen harmlosen Studenten schiessen lassen. So lässt es sich lesen. Nimmt man die Kommentatoren - von Stefan Aust, dem RAF-Berufs-Kronzeugen, bis zu Kurt Kister, dem Sicherheitsexperten der "Süddeutschen Zeitung", ernst, dann wäre die antiautoritäre Bewegung der Bundesrepublik, der Beginn einer linken Emanzipationsbewegung und natürlich die Terror-Gruppe RAF ohne Mielke nicht denkbar gewesen. Endlich, so scheint es, kommt alles raus was immer schon rauskommen sollte. Doch fehlen noch ein paar kleine Details, die von der RATIONALGALERIE - zum Teil bei der Birthler-Behörde, zum Teil in Seancen mit dem verstorbenen Erich Mielke und in tiefenpsychologischen Interviews mit Berliner Taxi-Fahrern - gründlich recherchiert wurden. Hier die Ergebnisse:

Es war in einem düsteren Büro in Ost-Berlin an einem kalten Januartag 1967, Mielke hatte am Wochenende kein Glück im Jagdrevier Schorfheide gehabt: Zwar hatte er diesen oder jenen Treiber mit sauberen Schüssen erlegt, aber es war nicht ein einziger Hirsch auf der Streck geblieben. Jetzt begann der Dienst mit einem Zeitungsfrühstück: Das "Neue Deutschland" studierte er schon lange nicht mehr. Zu langweilig. Also wieder der süchtige Griff zur "Bildzeitung". Was musste er dort lesen: "Kommune 1" gegründet!" Irgendwelche langhaarigen, ungewaschenen, ungehörigen West-Studenten hatten sich den hehren Begriff "Kommune" angeeignet und machten so den Kommunismus lächerlich. Mielke griff zum Telefon: "Gebt mir mal den Axel", bellte er in den Hörer.

Axel Springer, der Verleger der "Bildzeitung" und anderer Obszönitäten hatte auf den Anruf gewartet: "Axel Springer, Hauptmann der Nationalen Volksarmee, melde mich zu Stelle, wie geht´s Dir, Erich, alter Junge?" Springer wusste wie er Mielke besänftigen konnte, immer zackig und zugleich fröhlich, das liebte der Chef der Staatssicherheit. Springer hatte ihn damals, 1958, bei seiner Moskau-Reise getroffen, als er Nikita Chrustschow, den Ersten Sekretär der KPdSU, von der Notwendigkeit der deutschen Einheit überzeugen wollte. Das ging erstmal schief, aber die Russen hatten ihm die Einheit für später versprochen, wenn er bereit wäre mit Erich Mielke zusammenzuarbeiten, der damals gerade zum Chef des Ministeriums für Staatssicherheit ernannt worden war.

"Mach Dir keine Sorgen, Erich, diese impertinenten Krawallbrüder sollen nicht länger den Namen des Kommunismus besudeln, da machen wir was", fuhr der Chef des Springer-Konzerns fort und fortan lebten seine Verlagsprodukte geradezu von einer aggressiven Berichterstattung über Studenten und Außerparlamentarier aller Art. Um die internationale Öffentlichkeit zu täuschen, verabschiedete die Volkskammer zwar noch im Februar des Jahres 1967 ein Gesetz zur Staatsangehörigkeit der DDR, in Wahrheit strebte Mielke aber längst die Einheit Deutschlands an - unter seiner Führung versteht sich. Klammheimlich veranlasste er infiltrierte Stellen der Bundesregierung im April, die ersten radioaktiven Abfälle im niedersächsischen Salzbergwerk Asse einzulagern und leitete so die Destabilisierung Westdeutschlands ein: Der Nukleus für die späteren "Grünen" wurde hier gelegt, soweit das bei Kernen möglich ist.

Ebenfalls im April 1967 fand in "New York" die Uraufführung des Musicals "Hair" statt. Mielke sah sich durch die Hippie-Schmonzette in seiner Auffassung vom Vordringen langhaariger Subversiver bestätigt. Wie selbstverständlich deckten sich die Bildzeitungs-Schlagzeilen mit seiner Meinung. Doch obwohl die Bundesbürger zunehmend ablehnender auf ihre eigenen, langhaarigen und linken Kinder reagierten (sofern sie keinen Scheitel trugen und in der Jungen Union waren), fielen ihnen als pädagogische Denkfigur meist nur ein: "Geht doch nach Drüben". Mit "Drüben" war die DDR gemeint, so hatte Mielke sich das nicht vorgestellt. Ihm blieb nichts anderes übrig als die Situation zu verschärfen, um den Kampf gegen die Subversion des "Yeah, Yeah, Yeah", wie Walter Ulbricht die Musik der neuen Bewegung nannte, gewinnen zu können.

Als erstes nahm der Chef des "Ministeriums für Staatssicherheit" Kontakt zu Reza Pahlewi, dem Schah und Folterchef von Persien auf, um ihn zu einer Reise in die Bundesrepublik und nach Westberlin zu bewegen. Wie Mielke es schaffte, den damaligen westdeutschen Aussenminister Willy Brandt neben den iranischen Diktator in der Deutschen Oper zu platzieren, damit der gemeinsam mit dem Schah Mozarts "Zauberflöte" lauschen konnte, geht aus den bisher bekannten Akten nicht hervor. Dass die sogenannten "Jubelperser", professionelle Schläger, die auf protestierende Studenten einschlugen, alle auf Mielkes Lohnliste standen, versteht sich. Es kam wie es kommen musste und was Stefan Aust immer schon gewusst hatte: Die Studenten demonstrierten und Karl-Heinz Kurras bekam die Gelegenheit zum Startschuss zur Gründung der RAF.

Dass dem Mielke, über Springer und andere willfährige Helfer, ein Aufheizen des bundesdeutschen gesellschaftlichen Klimas gelang, in dem es möglich wurde, dass Kurras für die Mehrheit der Westdeutschen zum Volkshelden stilisiert werden konnte, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt ist es, welche Agenten des Ministeriums für Staatssicherheit bei der Westberliner Justiz dafür sorgten, dass Kurras in zwei Verfahren freigesprochen wurde und, obwohl alle Zeugen das Gegenteil aussagten, Kurras mit dem Märchen von einer Bedrohungslage für ihn und der Notwendigkeit der Selbstverteidigung vor Gericht bestehen konnte. Erneut kann Marx widerlegt werden: Anders als er behauptet hatte ist die Historie nicht eine Geschichte der Klassenkämpfe, sondern eine der Drahtzieher. So schreibt das Feuilleton.

Und weil das Feuilleton, wie auch die "Bildzeitung" immer recht haben, darf man davon ausgehen, dass der Berliner Innensenator - um ein Geständnis des Kurras zu vermeiden mit dem weitere Agenten in der Berliner Polizei und Justiz enttarnt werden könnten - den pensionierten Polizeibeamten nach Guantánamo abschieben will. So jedenfalls wussten eine Reihe von Taxifahrern in verschärften Interviews zu berichten. Ob Schäuble im Gegenzug islamische Häftlinge übernehmen wird ist bisher nicht bekannt.

Kommentare (6)

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Sie sollten nicht so tun, als habe die Stasi mit ihrem Kurras keinen Einfluss auf das historische Geschehen in der Bundesrepublik gehabt. Offenkundig gab es hier einen gezielten Einsatz.

Henny Meister
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Was die Medien nicht tun: Sie veröffentlichen nicht, was aus den Bithler-Akten hervorgeht, dass die Stasi von einem "Verbrechen" im Zusammenhang mit dem Tod Benno Ohnesorgs spricht (anders als die Westberliner Behörden) und dass Kurras als Agent...

Was die Medien nicht tun: Sie veröffentlichen nicht, was aus den Bithler-Akten hervorgeht, dass die Stasi von einem "Verbrechen" im Zusammenhang mit dem Tod Benno Ohnesorgs spricht (anders als die Westberliner Behörden) und dass Kurras als Agent seit diesem Zeitpunkt abgeschaltet wurde.

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Uli Gellermann
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Ihr Kurras-Fake ist brillant, witzig und in seiner Absurdität zutreffend: Danke!

Uwe Räder
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Wie es gelang, Willy B. in der Oper neben dem Shah zu platzieren? Na, das ist doch ganz einfach: Erich ließ Willy zuflüstern, der Pfauenthronbesetzer bringe endlich wieder einen dieser dicken Umschläge mit Barem von der CIA (sh. Tim Weiner, CIA -...

Wie es gelang, Willy B. in der Oper neben dem Shah zu platzieren? Na, das ist doch ganz einfach: Erich ließ Willy zuflüstern, der Pfauenthronbesetzer bringe endlich wieder einen dieser dicken Umschläge mit Barem von der CIA (sh. Tim Weiner, CIA - Die ganze Geschichte, S. Fischer, 2007, S. 400). Und schon war das geklärt. In Wirklichkeit glaubte die Agency natürlich nur, dass wirklich sie den späteren Kanzler schmiere. Tatsächlich waren das westdeutsche Steuergroschen, die über Inoffizielle in der bundesdeutschen Verwaltung "umgeleitet" und ihren Kollegen mit ebenfalls Doppelfunktion in Langley zugespielt wurden. Später schaffte Guilleaume diese Mittel dann wieder beiseite, genauer: in die Normannenstraße in Berlin, wenn Willy im Separee weilte. Und von Ostberlin wurden sie dann zur Beköstigung der parteiübergreifenden DDR-Bundestagsfraktion bei Landausflügen eingesetzt - damit die in einschlägigen Etablissements neben Gästen des WV-Konzerns nicht gar so ärmlich dastanden.
Das nenne ich Effizienz.

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Johannes Schlap-Huth
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Walter Ulbricht hat natürlich nicht "Yeah, Yeah, Yeah" gesagt sondern "Jeh, Jeh, Jeh". Dass zumindest sollten Sie korrigieren.

Peter Hennekamp
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Da die Walter-Ulbricht-Wissenschaft auch von "Jäh, Jäh, Jäh" spricht, haben wir uns an den Originaltext der Beatles gehalten.

Uli Gellermann
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