Über "Medien, Märkte und Konsumenten" philosophierte Jürgen Habermas jüngst im Feuilleton der Süddeutschen und sorgte sich um den Bestand der Qualitätspresse. Sie könne, unter dem Druck der ökonomischen Verhältnisse, an Qualität verlieren, könne der Versuchung erliegen statt spröder aber bildender Berichte dem Infotainement zu verfallen, jener Mischung aus Unterhaltung und Unterschlagung von Information, die in vielen Medien schon lange der preiswerte Ersatz für seriöse Arbeit geworden ist. Habermas benennt mit der Süddeutschen, der FAZ und dem "Spiegel" jene Zeitungen, um die er sich besonders sorgt und gelangt zu einem Fazit der besonderen Art: "Keine Demokratie kann sich ein Marktversagen auf diesem Sektor leisten." Doch wer immer über den Markt und seine Mechanismen schreibt, sollte gewisse Einsichten in ökonomische Vorgänge besitzen. Aber: Jürgen Habermas besitzt sie nicht.

In der selben Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung", in der Habermas unter anderem über das "gute Recht" der Eigentümer (Verleger) nachdenkt, Unternehmensanteile (von Zeitungen zum Beispiel) zu veräußern, kommt, nur wenige Seiten später, im Wirtschaftsteil, der Vertreter der Axel Springer AG, Matthias Döpfner zu Wort. Der Springer-Chef sorgt sich nicht, er redet übers Geschäft: Sechzig neue Titel hat der Verlag in den letzten fünf Jahren herausgebracht, von Krise keine Spur. Die Kriegskasse der Springers ist voll, ein paar Milliarden hätte der Konzern für den Kauf des TV-Ladens "Pro Sieben/Sat 1" ausgegeben, wenn das Kartellamt ihn nur gelassen hätte. Döpfner verfügt über Einsichten in Marktmechanismen, wenn auch mit einer gewissen Einseitigkeit. Aber: Döpfner lügt.

Bei seinem Plädoyer für den Erhalt "seriöser" Blätter geht Habermas von einer Zeitungskrise aus, die 2002 begonnen habe und zu rigiden Rationalisierungsmassnahmen geführt hatte: Tatsächlich gab es in den letzten Jahren weniger Anzeigen in den Blättern und als Reaktion darauf wurden Journalisten entlassen: Die Qualität von Recherche sank, die Zahl freier Journalisten verminderte sich ebenso wie die Stilvielfalt und die Meinungsbreite in den Zeitungen. Aber, so berichtet der "Verband der Zeitschriftenverleger": "Dass allein in den letzten fünf Jahren nach Auskunft des Wissenschaftlichen Instituts für Presseforschung, Köln, pro Jahr jeweils über 100 neue Titel allein im Markt der Publikumszeitschriften eingeführt wurden." Da es wesentlich die gleichen Verleger sind, die rationalisiert und, wo noch möglich, Qualitäten abgesenkt haben, die auch für die vielen neuen Titel verantwortlich waren, bleibt nur ein Schluss: Die Zeitungskrise war eine Krise für die in den Medien beschäftigten Menschen, für die Verleger war es eine prima Zeit.

Springer-Chef Döpfner schaut dem Interviewer der Süddeutschen tief in die Augen und behauptet, dass es beim jetzt geplanten Umzug der Bildzeitung von Hamburg nach Berlin, infolgedessen siebenhundert Kollegen rausgeworfen werden sollen, nicht "darum" ginge. Jeder im Hause Springer weiß, dass es genau "darum" geht, um radikale Rationalisierung. Die Redaktion der Süddeutschen, die im Feuilleton Habermas an der Klagemauer stehen lässt, erlaubt dem Döpfner sogar über die neue "Entwicklungsredaktion" der "Welt", in der sechzig Journalisten an Anzeigenblättern basteln, als einem "Biotop" zu reden. Auch hier weiß jeder bei Springer und jeder zweite bei der Süddeutschen, dass es sich um Abschiebehaft handelt, um den Übergang vom Schreiber zum Abgeschriebenen. Das Mitleid gegenüber Redakteuren, die, ob "Bild" oder "Welt" gerne und eifrig den Markt anbeteten, mag sich in Grenzen halten. Grenzenlos ist die Verachtung gegenüber Journalisten, die dem Springer-Vorstandschef eine kostenlose Bühne für seine Marketinglügen bieten.

Der Kulturwissenschaftler Ivan Nagel, lange Zeit ein beliebter Autor der Süddeutschen, hatte es vor ein paar Jahren gewagt im Feuilleton der selben Zeitung, den Neusprech der Wirtschaftsredaktionen zu kritisieren: Die Redaktionen, von der ARD bis zur Süddeutschen, seien neoliberalen Dogmen erlegen. Wer kaltschnäuzig einen Ausdruck wie zum Beispiel "Flexibilisierung des Arbeitsmarktes" benutze, der wolle nur eine Politik des sozialen Kahlschlags legitimieren. Das ging dem Chef der Wirtschaftsredaktion zu weit: Nur drei Tage später musste ihm die Kulturredaktion des selben Blattes eine ganze Seite überlassen: "Lügen und Denkverbote" unterstellte er dem Intellektuellen Nagel. Eine Antwort Nagels auf den Wirtschaftsseiten war selbstverständlich nicht möglich, sie wäre nicht einmal denkbar gewesen.

Dass Habermas ein ähnliches Echo wie Nagel erfährt ist unwahrscheinlich. Wer den "Spiegel" unter die seriösen Zeitungen rechnet und ihn, implizit auch als Opfer der "Zeitungskrise" begreift, der begreift doch weniger als man bei einem bekannten Philosophen voraussetzen dürfte. Der kann der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen nicht als satisfaktionsnötig erscheinen. Als 1993, lange vor der behaupteten Zeitungskrise, der "Spiegel" Konkurrenz durch den "Focus" bekam, begann die Sinnkrise des Hamburger Magazins: Seit etwa dieser Zeit verlor die Zeitschrift Qualität und Haltung, sie erfindet seitdem alle vier Wochen irgend einen neuen Trend, der zwei Tage später wieder vergessen ist und gehört zu den Einpeitschern der neoliberalen Kampagne. Dass der Chefredakteur dieses Blattes, Stefan Aust, eine Peitsche aus Nilpferdhaut auf seinem Schreibtisch liegen hatte, entsprach dem neuen Redaktionsverständnis: Weniger Seriosität, weniger Geschmack, eine Nivellierung nach unten war angesagt.

"Aber der Markt kann diese Funktion (der Emanzipation) nur solange erfüllen, wie die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten nicht in die Poren der kulturellen und politischen Inhalte eindringen" schreibt Jürgen Habermas und dem Leser stockt der Atem: So ungebildet, denkt er, kann der Mann doch nicht sein. Denn schon längst hat der Markt die genannten Poren verstopft. Anders wäre weder die Beführwortung des deutschen Afghanistan-Einsatzes durch die Medien denkbar noch die medial beklatschte Übernahme deutscher Kunsttempel durch vorgebliche Mäzene erklärbar. Habermas bezieht seine Position auf die Zeit bürgerlicher Revolte, als im Umfeld von 1848 noch für die "Preßfreiheit" gekämpft wurde. Kann es sein, dass der Philosoph den Kompromiss-Sieg der Bürgerlichen verschlafen und zwei Weltkriege vergessen hat? Der Markt, lieber Herr Habermas, ist der Teilchenbeschleuniger der Profitexplosion, er kann gar nicht anders.

Immerhin gäbe es da noch den Staat, fällt dem philosophierenden Autor ein: "Wenn es um Gas, Elektrizität oder Wasser geht, ist der Staat verpflichtet, die Energieversorgung der Bevölkerung sicherzustellen", und so könnte er es doch, bitteschön, mit der Qualitätspresse auch halten. Man sollte meinen, die Süddeutsche hätte eine gewisse Fürsorgepflicht gegenüber ihren Autoren und würde deren entblößendes Unwissen redigieren. Aber vielleicht verdienen die im Feuilleton zu viel, vielleicht sind denen die Permasteigerungen der Strom-Gas-Wasser-Preisen nicht aufgefallen und sie wissen deshalb nicht, dass in diesem Sektor nahezu alles entstaatlicht ist.

Es ist eher ein Zufall, der aus ökonomischer Gesetzmäßigkeit resultiert, dass in einer Ausgabe der selben Zeitung der Unternehmensvertreter kräftig aufs Gas der Profitmaximierung treten darf und der Vertreter der Intellektuellen zögernd nach der Bremse sucht. Auch wenn Habermas Symptome des Verfalls von Pressequalitäten erkennt, ist sein Fenster auf die Wirklichkeit doch recht klein. Erscheinungen mag ihm der Sehschlitz ermöglichen, zum Wesen vorzudringen bleibt ihm verwehrt. Dass die tägliche Pressefreiheit, Feuilleton hin, Kulturanspruch her, letztlich die Freiheit der Verleger ist, erst diese Erkenntnis kann Qualitätsartikel zum Thema Medien und Markt hervorbringen.