Welch eine Nachricht: Nach gut zehn Jahren sollen die ersten Soldaten der USA aus Afghanistan abziehen. Eine erste Bilanz stellt fest: Osama bin Laden wurde nicht in Afghanistan gefunden. Die Taliban sind unwesentlich schwächer als zuvor. Immerhin sind sie keine Bündnispartner der USA mehr. Wegen der vielen ausländischen Gelder in Afghanistan ist die Korruption um ein Vielfaches angewachsen. Afghanistan ist zum führenden Opium-Dealer aufgestiegen: Rund 90 Prozent des Weltbedarfs kommen aus diesem Land. Nirgendwo, besagt eine internationale Studie, leben Frauen so gefährlich wie in Afghanistan. Allein im letzten Jahr verzeichnet der Krieg 10.000 Tote. Unterm Strich: Je schneller der Abzug aus Afghanistan, um so besser für die Afghanen.
Doch die Entscheidung Obamas hat mit den Interessen der Afghanen nichts zu tun. Es geht um viel Geld, das die USA in diesen Krieg stecken. Geld, das sie dringend zu Hause brauchen: Marode Straßen, bröckelnde Schulen, ein überaltetes Stromnetz und eine gefährdete Trinkwasserversorgung kennzeichnen die USA in weiten Teilen als Entwicklungsland. Das ist auf dem militärischen Sektor natürlich anders. Immer noch haben die Amerikaner mit fast 700 Milliarden Dollar jährlich den höchsten Wehr-Etat der Welt. Rund 1,5 Millionen Soldaten sichern die Vormachtstellung der USA. Denn wer so viele Schulden hat wie die USA, der muss seine Gläubiger einschüchtern. Fast 300.000 amerikanische Soldaten in mehr als 700 internationalen Stützpunkten leisten diesen schweren Dienst am verschuldeten Vaterland.
Doch wenn Obama die wirtschaftliche Misere der Vereinigten Staaten ernsthaft bekämpfen wollte, gäbe es eine einfache Alternative: Die USA schafften ihr Militär ab. Allein die 577.000 militärischen Liegenschaften, deren Fläche etwa 12 Millionen Hektar umfassen, würden bei einem Verkauf nach seriösen Schätzungen 653,4 Milliarden US-Dollar erzielen. Aber es gibt sogenannte Experten, die behaupten, wenn die USA nicht mehr militärisch eingreifen könnten, dass dann der Ölpreis anstiege. Doch wer den Ölpreisanstieg im Gefolge des Libyenkrieges beobachtet, der wird das Gegenteil annehmen müssen: Kriege stören die weltweite Ölversorgung, wie auch am Irak-Krieg zu beweisen war. Aber wer von den Staatenlenkern lässt sich schon von simplen Tatsachen beeinflussen?
Was der US-Bürger von den Völkern hält, denen man angeblich mit den jeweiligen Militäreinsätzen humanitäre, demokratische oder freiheitliche Hilfe leistet (zutreffendes bitte ankreuzen), fasste jüngst der Kongressabgeordnete Barney Frank zusammen: "Wir können nicht jedes Rattenloch auf der Welt zustopfen." Und wohin die US-Truppen abziehen, wenn sie denn abziehen, darauf weisen die 1.000 Soldaten des 45th Infantry Brigade Combat Team hin, die eigentlich in Afghanistan andere US-Soldaten ablösen sollten: Sie werden nach Kuwait verlegt. Welches Rattenloch sie dort stopfen sollen, kann man nur vermuten. Immerhin gibt es dort Öl.
Der nette ältere Herr aus dem deutschen Kriegsministerium hat schon mal vor einem schnellen Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan gewarnt: "Wir lassen Afghanistan nicht alleine", konnte man von de Maizière hören. Und er hat die Wahrheit erkannt: Denn falls Obama wirklich bis zum Ende des nächsten Jahres 33.000 Soldaten abziehen sollte, bleiben immer noch doppelt so viel US-Truppen in Afghanistan wie zu Obamas Amtsantritt: Der Finger bleibt am Abzug.