Ein paar tote deutsche Soldaten, ein verletzter General, ein Bekennerschreiben der Taliban und schon wird das dümmliche Mantra einer entweder ahnungs- oder gewissenlosen Politikerkaste in Bewegung gesetzt: "Kabul, Kabul", grölen sie, als wären sie zu einem Pokalendspiel unterwegs, "wir bleiben in Kabul." Das verlangt der außenpolitische Sprecher der CDU, Eckart von Klaeden, der sogar glaubt, dass die deutschen Soldaten noch zehn Jahre im Land bleiben müssen. Das memoriert Herr Westerwelle: ". . . so darf und wird uns der Anschlag nicht davon abbringen, unsere Strategie in Afghanistan umzusetzen". Dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, fällt sogar ein: "Es ist alles nicht so einfach.". Einen Höhepunkt an Geschichtsblindheit mag uns die ehemalige Staatsministerin der GRÜNEN, Kerstin Müller, liefern: "Abzugsdebatten sind kontraproduktiv und gefährden diejenigen, die dort im Einsatz sind, weil Terroristen dann den Eindruck gewinnen könnten, dass ihre Anschläge Wirkung zeigen.“

Dass man die Taliban - einer Gruppe von pakistanischen Söldnern, apolitischen jungen Leuten aus den Flüchtlingslagern, die keine soziale Perspektive haben und ehemaligen Kämpfern gegen die Sowjetunion ohne Stammesbindungen - die ein Produkt des nun bald 30 Jahre währenden Afghanistan-Krieges sind, nicht mit Krieg bekämpfen kann, wissen die Müllers dieser Erde nicht: Krieger wie die Taliban ernähren sich vom Krieg. Ihre Existenz wäre mit einem Frieden in Afghanistan, zu dessen Voraussetzungen der Abzug fremder Truppen gehörte, ernsthaft gefährdet. So, unter dem Eindruck immerwährender Kollateralschäden durch die NATO-Truppen, können sie sich als Wahrer afghanischer Interessen aufspielen. Da kommt ihnen dann so ein Geistesriese wie der Unionsverteidigungsexperte Ernst-Reinhard Beck gerade recht, der eine Gegenoffensive der internationalen Truppen gegen die Taliban forderte. "Der Anschlag kann nicht ohne Folgen bleiben", sagte der Fachsprecher der Fraktion. Das ist die Ebene der Taliban, die Blutrache, das unpolitische Mittelalter.

Schon mit dem Petersberg-Abkommen vom Dezember 2001, auf das der grüne Karrierist Joschka Fischer bis heute so stolz ist, wurde die wesentliche, afghanische Volksgruppe der Paschtunen als stabilisierender Faktor ausmanövriert: Die dort ausgewürfelte Regierung bestand aus 23 Mitgliedern der Nordallianz und nur aus sieben Paschtunen. Zwar wurde der Paschtune Hamid Karzai Regierungschef, den nahmen die Afghanen aber nur als Marionette der USA wahr. Weil kein kleiner Teil der Taliban sich aus dem Stamm der Paschtunen rekrutiert hatte, sollten die, obwohl sie die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmachen, mit weniger Ämtern auskommen. Mal wieder behandelte die "internationale Gemeinschaft", zu der sich die USA und ihre Satelliten aufblähen, eine Stammesgesellschaft als Nationalstaat. Und mal wieder stellte sie unter Beweis, dass sie nicht begreift in welchem Umfeld sie ihre wirtschaftlichen und militärischen Interessen durchzusetzen versucht: Denn mit der temporären Niederlage der Taliban im Oktober 2001 wäre der Weg für eine paschtunisch dominierte afghanische Zivilgesellschaft frei gewesen. Wenn die paschtunischen Stämme ein echtes Mitspracherecht in Kabul gehabt hätten.

Statt die Stämme und Clans ihre Streitigkeiten intern beilegen zu lassen, macht die internationale Gemeinschaft das, was nur den Taliban hilft: Fremde Regeln, von fremden Mächten mit fremden Waffen durchsetzen. Der normale, nach westlichen Maßstäben wenig gebildete Afghane, kann die "Moderne" in Form von Streubomben, Drohnen und Panzern kaum als Verlockung empfinden. Im Gegenteil: Wie immer in erschütternden Krisensituationen suchen auch die afghanischen Stämme ihr Heil im Rückzug auf die alten Werte, die archaische Kultur und eine mittelalterliche Religion, zu der auch die tradierte Unterdrückung der Frauen gehört. Diese Rückzugsvariante bieten die Taliban in reinster Form. Doch waren es immerhin die Taliban, so erinnern viele Afghanen, die in den Jahre ihrer Herrschaft mit der herrschenden Rechtlosigkeit und Unsicherheit, mit Plünderungen und Vergewaltigungen Schluss gemacht hatten. Und es waren 1.600 afghanische Geistliche, die dem Chef der Taliban 1996 den Titel "Führer der Gläubigen" verliehen hatten, der ihm den Sprung zum "Emir von Afghanistan" ermöglichte. Dass die Taliban-Regierung damals von Pakistan und von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten anerkannt wurde, ist in Vergessenheit geraten. Ebenso das westlichen Wohlwollen: Der US-Botschafter in Pakistan empfing offiziell Vertreter der Taliban, die UNO schickte den Deutschen Beauftragten Holl nach Kabul.

Das bislang reinste Produkt mangelnder Intelligenz in der Afghanistan-Falle lieferte jüngst die GRÜNE Kerstin Müller mit einem Brief an den Außen- und den Entwicklungshilfeminister. Mitten in einem brutalen Krieg schreibt sie "Die Bundesregierung muss sich verstärkt für die Frauenrechte in Afghanistan einsetzen. Nach dem Bericht der Böll Stiftung erhalten wir den Eindruck, dass das afghanische Frauenministerium von der Regierung Karsai zu einem Sittenwächter umfunktioniert werden soll." Zum einen attestiert sie der Marionetten-Regierung, dass sie in der Frauenfrage nicht weit von den Taliban entfernt ist. Zum andern fordert sie, dass die Diskrimierung der Frauen in Afghanistan durch den Westen beendet werden muss. Als sich die deutschen Frauen des vergangenen Jahrhundert von der Unterdrückung ihrer Männer zu befreien suchten, wäre ihnen eine Interventionsarmee sicher mehr als merkwürdig vorgekommen. Ein militärischer Druck von außen hätte eher zur nationalen Solidarität geführt, als zur Emanzipation. Das ist, vor allem wenn es wie in Afghanistan seit Jahren zum Tod von Kindern und Nachbarn gleich welchen Geschlechts führt, in Afghanistan nicht anders. Die Dankschreiben der Taliban sollten den neuen Missionaren einer westlichen Befreiung gewiss sein.