Fussball ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln: Wer in diesen Tagen in die Zeitungen oder die Glotze blickt, kann sich davon mühelos überzeugen. Geradezu höfisch - von der "Süddeutschen" bis zur BILD, von der TV-Sportberichterstattung bis zum Kulturmagazin - wird die Präsenz der Kanzlerin bei, um und um die Fussballspiele herum notiert. Jubelt die Serinissima, hat sie "ihre Fäustchen" geballt, leidet sie mit? Ein langer, starrer Kamera-Blick auf die Ehrentribüne zeigt die Schicksalstage einer Kanzlerin. Mag die EU an Irland scheitern, die Armut in Deutschland monströse Formen annehmen, die versprochene Entwicklungshilfe kaltschnäuzig gestrichen werden: Angela Merkel tanzt auf der Fussball-Hochzeit, badet im Licht der Kameras, leuchtet auf, wenn die Blitzlichter ihr Gemüt erhellen während ihr Geist eher dunkel bleibt.
Dass die deutsche Mannschaft, von Frau Merkel gerne in der Kabine heimgesucht, einen Gewinn von Merkels Präsenz gehabte haben könnte, war bisher nicht zu bemerken: Mit viel Glück und wenig Verstand rumpelte der deutsche Fußball ins Finale. In den Spielen gegen Kroatien oder die Türkei waren nicht einmal die angeblich deutschen Tugenden, Durchhaltevermögen und Kampfgeist, zu beobachten: Kaum auf dem Platz, gab sich die deutsche Elf schon geschlagen. Wer das Vergnügen hatte, der spanischen Mannschaft beim Spiel zuzuschauen, der konnte erfahren was Fußball sein kann: Sich selbst und anderen ein sportliches und ästhetisches Schauspiel zu bereiten. "Sie hat Ahnung vom Fußball und ist völlig normal", behauptet der Spieler Sebastian Schweinsteiger nach einem persönlichen Gespräch mit der Kanzlerin. Ein Tête-à-Tête , dass die Google-Suchmaschine mit 345.000 Treffern ausweist: Es muss bedeutend sein.
Millionenfache Treffer auch auf den Public-Viewing-Maschinen, jene Straßen und Plätze, an denen sich Menschen zum Fahnenschwenken treffen und kollektive Begeisterung herstellen. "Eine nationale Bewegung" nennt die Kanzlerin solche Ansammlungen, auf die Weltmeisterschaft rückblickend. Und Recht hat sie: In Zeiten, in denen das Brot teuer wird, sollten wenigstens die Spiele billig sein. So wird dann über die Nachrichtenagenturen die Anwesenheit der Kanzlerin beim Endspiel angekündigt, als wäre das Spiel ohne sie undenkbar und sie selbst weiß, dass sie diesen Spielen "die Ehre gibt". Die Merkel ist schlau. Sie begreift Fußball nicht als schlichten Ersatz für Politik, sie sieht ihn als mediale Fortsetzung ihrer spezifischen Form von Politik: Viel warmer Wind um ein kaltes Weniges.
"Sie hat mir gesagt, dass ich nicht wieder so eine Dummheit tun soll wie die rote Karte gegen Kroatien. Und sie hat gesagt, ich soll wieder so spielen wie damals bei der WM. Wenn die Frau Bundeskanzler etwas sagt, dann muss man das auch tun", erzählt Schweinsteiger in entzückender Naivität aus dem Gespräch mit der Kanzlerin. Die weisen Worte der großen Vorsitzenden, allüberall notiert und publiziert, weisen den Weg, ob beim Fußball oder in der deutschen Politik: Nicht bei den Mächtigen (den Schiedsrichtern, den Unternehmerverbänden) anecken, ansonsten so weiter rumpeln wie bisher. Wenn es gerecht zuginge, wird diese Haltung gegen das intelligente Spiel der Spanier nicht ausreichen. Wenn Deutschland trotzdem gewinnt, geht es eben zu wie im Alltag der Bundesrepublik. Oder wie der Torhüter der deutschen Elf, Jens Lehmann, zu sagen weiß: "Aber das bildet doch wieder den Mythos der Deutschen, die aus dem Nichts dann doch was machen." Dem kann Angela Merkel von Herzen zustimmen.