Schon seit Monaten geht Bundespräsident Köhler als Widergänger der Schuldfrage durch das Land: Schuuuld! stöhnt es aus seinem Mund, dieser oder jener habe Schuuuld! heult es schauerlich aus dem Präsidenten-Schloss. Dann treten ihm die Augen aus den Kopf vor lauter Anstrengung das Wort zu formen und die Schuldigen an der Krise zu finden: "Da ist was passiert, was viele Menschen ausbaden müssen, was eine relativ kleine Schicht angezettelt hat", säuselt er einem Radio zu. Schade, dass man ihn dabei nicht sehen kann. Denn immer, wenn er sich unbeobachtet glaubt, macht er diese nervöse Waschbewegung mit den Händen: Ich wasche, also bin ich unschuldig!

Der alte Marktradikale Köhler ist ein öffentlicher Lügner durch Verschweigen, Verdrängen, Vergessen. Vergessen: Seine Rede als IWF-Direktor an der Humboldt-Universität im Mai 2003, als er die Globalisierung und deren "ökonomische Chancen" pries, die "uns nicht einfach aufgezwungen" sei, sondern "das Ergebnis von Veränderungskräften, die tief in der menschlichen Natur verwurzelt sind". Um dann die schauerliche Forderung auszustossen, nach der die "Kapitalverkehrs-Liberalisierung weiter voranzubringen" wäre. Das hat dann ja auch geklappt, bis hin zu Lehmann Brothers und zur Hypo Real Estate.

Verdrängt hat Köhler den heißen Wunsch aus seiner Antrittsrede, die marktliberale "Agenda 2010" möge dringend fortgesetzt werden. Aus seiner Erinnerung verschwunden ist der Spaltungssatz vom "Sozialstaat heutiger Prägung", der sich übernommen habe. Ein Satz, der die Zementierung von immer mehr Armut für viele bei wachsendem Reichtum für wenige bedeutete. Und schließlich die Ungeheuerlichkeit: "Weitere Staatsverschuldung ist auch kein Ausweg". Schulden machen für Staat und Soziales, für die eigentliche Krisenprävention: Für Köhler damals undenkbar. Schulden machen für den Finanzsektor: Für Köhler heute ein geschätztes Tagesgeschäft.

"Wir brauchen einen Mentalitätswandel in unserem Land, eine neue Balance von Eigenverantwortung und kollektiver Absicherung." Diesen kleinen Köhlerschen Gedanken übersetzte er selbst so: Er habe Zweifel, ob der Mindestlohn "wirklich zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt", um dann dringend "mehr Reformehrgeiz" einzuklagen. Wohin dieser Reformehrgeiz geführt hat, ist in diesen Tagen zu beobachten. Zwischenzeitlich hat Köhler sein Gedächtnis abgewrackt. Er war natürlich nicht dabei, als die Marktliberalen die Welt demontierten. Wie die komplette Gang, die ihn ins Amt gehoben hat, ist er einem selektiven Alzheymer verfallen: Man weiß noch seinen Namen und die Höhe der Bezüge, das muss reichen.

Statt aus der Erinnerung in die Verantwortung zu marschieren, was den Rücktritt bedeuten würde, warnen sie heute vor Panik. Köhler: "Natürlich ist die Krise beherrschbar", mit dem selben treuherzigen Augenaufschlag, mit dem er früher die Globalisierung gepriesen hat. Oder Müntefering: "Deutschland ist stark", mit dem selben netten Sauerland-Akzent, mit dem er die Agenda 2010 durchgepeitscht hat, damit auch Deutschland an die internationale Krisenwand gefahren werden konnte. Und all dieses Beruhigungsgerede nur weil Gesine Schwan und der DGB-Chef Sommer, biedere Leute ohne sonderlich linke Absichten, vor sozialen Unruhen in Deutschland gewarnt hatten.

Denn soziale Unruhe darf nicht sein, wenn es ein paar Millionen mehr Arbeitslose gibt. Soziale Unruhen dürfen nicht aufkommen, wenn sich die Schäfflers und Porsches an den Börsen wie die Spekulantensau aufführen und keiner in der Agenda-Regierung sie bändigt. Panik darf nicht ausbrechen, wenn die Risiken der Banken-Finanzverbrechen auf 816 Milliarden Euro addiert werden, während die privaten Insolvenzen die Hunderttausender-Grenze übersteigt und rund drei Millionen Privathaushalte als überschuldet gelten. Denn Panik könnte die Geschäfte stören, könnte Wahlen beeinflussen, wäre der öffentlichen Lüge abträglich.

Die Stadt Mannheim hat den Regierungs-Weg aus der Krise begriffen: Sie zahlt eine Abwrackprämie in Höhe von 50 Euro für jedes alte Fahrrad. Auch der baden-württembergische Justizminister, einer von der FPD, verlängert die Konjunkturpolitik-Linie der Bundesregierung vom Abstrusen ins Abnorme: Er will eine Abwrackprämie für illegale Waffen zahlen: Wer eine besitzt, darf sie straffrei zurückgeben und bekommt noch Geld dafür. Das erinnert stark an die Politik gegenüber Bankvorständen: Wer mit seiner Bank die üblichen kaum legalen Geschäfte gemacht hat, gibt seinen Job zurück und bekommt einen Bonus.

Auch die Dame Merkel warnt: "Es ist völlig unverantwortlich, jetzt Panik zu machen und Ängste zu schüren.“ Als wären die Ängste nicht Ergebnis ihrer Politik. Als wäre es nicht an der Zeit, dass eine geordnete Panik sie, den Bundes-Präsidenten des Vergessens und den Rest der Unschuldigtuer endgültig abwracken sollte. Mit einer solchen "sozialen Unruhe" würden sich die Deutschen ihre Prämie selbst auszahlen.

Kommentare (4)

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Es gibt keinen Zweifel, dass Frau Schwan mit ihrer Panik-Attacke Wahlkampf machen wollte. Gegen Wahlkmapf habe ich nichts, aber Frau Schwan gehört auch zu den Verdrängern: Als Schröder-Anhängerin hat sie brav die Agenda-Politik mitgetragen....

Es gibt keinen Zweifel, dass Frau Schwan mit ihrer Panik-Attacke Wahlkampf machen wollte. Gegen Wahlkmapf habe ich nichts, aber Frau Schwan gehört auch zu den Verdrängern: Als Schröder-Anhängerin hat sie brav die Agenda-Politik mitgetragen. Soziale Verantwortung darf man ihr nicht abnehmen.

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Hannes Dräger
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Wir nehmen nichts ab, nur an. Oder ab und zu.

Uli Gellermann
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Was soll denn Ihr Wunsch nach "sozialer Unruhe". Wünschen Sie sich wirklich den Mob auf der Straße und entführte Manager?

Robert Hartmann
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Das wäre doch mal ein Anfang.

Uli Gellermann
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