Der Pirat ist schon seit dem 6. Jahrhundert vor Christus unterwegs. Als das römische Mittelmeer-Monpol nur noch den großen Räubern (Getreide- und Sklavenhändlern) ordentliche Profite versprach, gründeten kleine und mittlere Unternehmer Konkurrenzflotten und versuchten so die ungleichen Marktbedingungen auszugleichen. Die Wikinger trugen auf diesem Weg zur Gründung Englands bei, der spanischen Silberflotte wurde mit geostrategischen Absichten von holländischen, französischen und englischen Piraten der Weg verlegt, und vor der somalischen Küste versuchen ehemalige Fischer heute den finanziellen Ausfall, den die großen interationalen Fischfangflotten verursacht haben, durch Einzelpiraterie auszugleichen. Völlig neu ist das Phänomen einer ordentlichen Partei zum Zwecke der Piraterie.
Was dem traditionellen Piraten die Freiheit der Meere, das ist der deutschen Piratenpartei die Freiheit der digitalen Netze: "Die freie Kommunikation über digitale Netzwerke" schreibt die Partei in ihrem Grundsatzprogramm, "ermöglicht unserer Gesellschaft die klassischen Freiheitsrechte wie die Meinungsfreiheit und die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu stärken." Soweit, so hölzern. Wer jetzt gehofft hatte, die Parteipiraten würden den Jolly Roger, den fröhlichen Totenkopf aufziehen und den Monopolflotten im Netz, den Googles, Amazones oder Facebooks den Kampf ansagen, der hat sich geirrt. Nicht einmal der Name ICCAN taucht auf, der "Weltregierung des Internet", deren Hauptquartier nach wie vor in den USA ist und dort der amerikanischen Rechtsprechung unterliegt und so natürlich jederzeit von den USA beeinflusst werden kann und wird. Es ist zwar schön, wenn die deutschen Piraten in ihrem Programm von "Informationeller Selbstbestimmung, freiem Zugang zu Wissen und Kultur und der Wahrung der Privatsphäre" schreiben, aber wer die Hindernisse auf dem Weg dahin nicht beschreibt, der hat schon bei seinem Kernthema verloren.
Beim nächsten Prüfstein, dem Sozialen, freut sich der Betrachter, wenn die Jungs vom Totenkopf schreiben: "Wenn ein Einkommen nur durch Arbeit erzielt werden kann, muss zur Sicherung der Würde aller Menschen Vollbeschäftigung herrschen." Doch der Experte wundert sich, wenn er von der Umsetzung liest: "Sie (die Vollbeschäftigung) wird auf zwei Wegen zu erreichen versucht: durch wirtschaftsfördernde Maßnahmen mit dem Ziel der Schaffung von Arbeitsplätzen oder durch staatlich finanzierte Arbeitsplätze mit dem vorrangigen Ziel der Existenzsicherung. Beide sind Umwege und verlangen umfangreiche öffentliche Mittel." Mal wieder kein Ross und kein Reiter, keine Arbeitsplatzvernichter oder Ursachen benannt. Statt dessen: "Da das Ziel ein Einkommen zur Existenzsicherung für jeden ist, sollte dieses Einkommen jedem direkt garantiert werden", schreiben die Freibeuter in ihr Programm und lassen so das allseits bekannte "Bedingungslose Grundeinkommen" hochleben, das der Arbeit ihre gesellschaftsprägende Rolle abspricht und die Transferleistung als stilbildendes Mittel der Gesellschaft verbindlich machen soll. Wer dann noch einen solchen Satz schreibt: "Wir wollen Armut verhindern, nicht Reichtum", der hat nicht begriffen, dass der Reichtum des einen die Armut des anderen ist.
Zur größten, aktuellen Transferleistung, Euro-Rettung genannt, die aber Bankenrettung heißen müsste, kein Wort im ganzen Kaper-Programm. Während draußen, auf dem Meer der Kapitalien, die größten Raubzüge aller Zeiten stattfinden, sitzt der deutsche Pirat zu Hause vor seinem flimmerfreien Bildschirm und daddelt sich so durchs Netz, um daraus die Erkenntnis abzusondern, dass "Die Kontrolle über diesen virtuellen öffentlichen Raum (Internet) nicht dazu genutzt werden (darf) einzelne Kommunikationsteilnehmer gezielt einzuschränken." Im realen Leben werden ganze Staaten bis zur Pleite "eingeschränkt", das Werkzeug Internet dient derweil dazu, Milliarden durch den virtuellen Finanzraum zu schieben, aber unsere Korsaren fürchten primär um den "einzelnen Kommunikations-Teilnehmer". Was nicht falsch ist, nur falsch wird, wenn man nicht gleichzeitig den Banken die Kontrolle über unser aller Leben streitig macht. Man darf feststellen, dass der neue Pirat sich jedenfalls nicht als "Likedeeler" begreift, wie jene Piraten, die im 14. Jahrhundert im Kampf gegen die Obrigkeit immerhin Mannschaftsräte gebildet hatten, um eine gewisse demokratische "Gleichteilung" zu erreichen.
Vollends werden die Digital Natives, die Eingeborenen des Netzes zu Naiven Digitalen, wenn es um den Krieg geht. "Häh", sagt da der Web-Designer am Prenzlauer Berg, nuckelt an seiner Latte macchiato und fährt fort, "Die Gesellschaft muss aufgeklärt werden, dass Whistleblowing eine Form der Zivilcourage ist, die unbedingt unterstützt und geschützt werden muss." Dass das Verpfeifen, das Whistleblowing einen Zweck haben könnte weiß unser Pirat schon: "Ein 'Whistleblower' ist für uns jemand der Missstände und illegales Handeln, wie beispielsweise Korruption, Insiderhandel oder allgemeine Gefahren . . . an die Öffentlichkeit bringt." Dass der Krieg es bei der Piratenpartei nicht einmal zum Rang einer allgemeinen Gefahr bringt, dass man durch frühzeitiges Verpfeifen von Kriegsabsichten den Kriegsfall vielleicht verhindern kann, dass ein Aufdecken von Kriegsprofiten und Okkupationsabsichten dem Netz einen zutiefst humanitären Sinn verleihen könnte, das ist dann doch zuviel für jene fast neun Prozent Piratenwähler, die vor der Berliner Wahl wahrscheinlich ". . . joho `ne Buddel voll Rum" getrunken haben und deren Kater längst begonnen haben sollte.