Sie erinnern sich: Nur am Markt kann unser Wesen genesen, nur der Markt heilt alle Wunden staatlicher Bevormundung, nur der Markt garantiert dem Verbraucher günstige Preise und ist dem System ein Wohlgefallen. Nun macht der Markt zur Zeit etwas ganz Merkwürdiges: Er, wer immer dieser Herr Markt ist, lässt die Preise von Milch und Milchprodukten jäh bis zu fünfzig Prozent steigen. Haben die Kühe höhere Löhne gefordert? Wächst das Grass kürzer als sonst? Müssen die Bauern ihren Dünger doppelt so teuer bezahlen wie im letzten Jahr? Tatsächlich leidet die Mehrheit der Bauern nur unter den Jahreszeiten und den langen Lieferfristen von Mercedes.

Liest und hört man die Debatte in den deutschen Medien scheint die Empörung einhellig. Die Selben, die gestern noch dem Markt die Treue geschworen hatten, sind heute geradezu marktbeleidigt: Das kann er doch nicht machen der Markt, und so plötzlich, sagen sie, und der Schein ihrer abrupten, falschen Heiligkeit beleuchtet mögliche Absprachen und weist mit Fingern in die Marktluft: Die Chinesen sind schuld! Der Gilb säuft unsere Milch und deshalb wird die knapp und was knapp ist, wird teuer. Zwar haben wir immer über den segensreichen Wettbewerb des Marktes geredet, der hielte die Preise niedrig, aber manchmal ist es eben total andersrum. Das ganze pseudowissenschaftliche Geschwätz, die vielen teuren Anzeigen, der schöne Schaum am Mund des Herrn Westerwelle: Alles vergebens?

Selten genug, nie in der Überschrift, kaum in den TV-Nachrichten, ist das geheimnisvolle Wort "Milchquote" zu lesen. Ist es die Quotierung wie viel Milch der Bürger trinken darf? Sollte es sich um eine Pro-Kopf-Zuteilung handeln falls der Chinese uns die Milch wegtrinkt? Nein, es ist die Menge der Milch, die der einzelne Bauer, nach Vorschriften der EU, produzieren darf. Aber, sagt sich da der Milch trinkende Bürger, wenn die Milch teurer werden soll, weil sie knapp ist, dann lasst den Bauer doch mehr produzieren. Dann bliebe der Preis stabil und der Bauer könnte, weil er mehr Umsatz macht, seiner Frau auch einen Mercedes kaufen.

Über so viel Einfalt kann der Landwirtschaftsminister nur den Kopf schütteln: Da wäre ja der Reichsnährstand dem brutalen Liberalismus ausgesetzt! Denn jede Kuh, die einem deutschen Bauern gehört, wird jährlich mit fast tausend Euro aus Steuergeldern subventioniert. Der Bauer bekommt also einen Festpreis für seine Milch und darf deshalb auch nicht mehr produzieren. Da guckt der Verbraucher blöde, so eine Preisbremse hätte er beim Strom auch gerne. Noch blöder würde der Verbraucher gucken, wenn er wüsste, dass auch der Export von Milchprodukten subventioniert wird: Wir geben also dem Bauern Geld, damit er dem Chinesen die Milch verkaufen kann. Und weil der Chinese die Milch dann kauft, wird die knapp und deshalb für uns teuer. Das findet der Landwirtschaftsminister logisch.

So ganz nebenbei verdirbt die Subventionierung deutscher Milch den Bauern in den Entwicklungsländern das ohnehin schon schlechte Geschäft. Trotz ihrer Hungerlöhne können sie ihre Milch nicht so billig verscherbeln, wie die EU-Bauern. Sogar die WTO (Welthandelsorganisation) hat das schon begriffen: Sie will künftig die EU-Subventionen beschränken oder gar abschaffen.Dazu sagt der Verband der deutschen Milchindustrie: "Die Auszahlungsleistung (der EU) fördert die Teilnahme am Weltmarktgeschehen . . . trotz höherem Inlandspreisniveau". Was übersetzt heißt: Die Subventionen machen die Export-Milch billiger, als sie auf dem heimischen Markt zu haben ist.

Mit den Regeln des freien Marktes ist es wie mit den Bauernregeln. Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ist der Wettbewerb frei oder er bleibt wie er ist. Staatlich geregelt dort, wo eine treue CDU/CSU-Wählergruppe geschützt werden soll, frei galoppierend, wenn es um den Durchschnittsverbraucher geht. Es diese besonders freche Denkungsart, die der Marktideologie zu eigen ist.

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