"Die GRÜNEN sollten gegen diese (Castor-) Transporte in keiner Form - sitzend, stehend,  singend oder tanzend - demonstrieren", hatte Jürgen Trittin gesagt. Natürlich nicht heute. Sondern damals, als er noch Umweltminister in einer rot-grünen Regierung war. Und Claudia Roth sekundierte in unnachahmlichem Polit-Deutsch: "Wenn das Ziel einer Blockade ist, einen notwendigen Transport zu verhindern, dann konterkariert diese Demonstration den zuvor gefundenen Konsens.” Jüngst konnte man die beiden GRÜNEN in Gorleben und an der Castor-Strecke beobachten. Wenn auch nicht tanzend, so doch demonstrierend.

Was ist heute anders als vor neun Jahren? Gewiss, die Regierung Merkel hat, mit der Verlängerung der AKW-Laufzeiten, die Entsorgungs- und Endlagerungs-Situation weiter verschärft. Aber auch damals gab es kein Endlager für den Strahlen-Müll in Deutschland. Und bis zum Ende der rot-grünen Regierungsherrlichkeit, nach immerhin sieben Jahren, wurde auch kein neues Endlager-Projekt in Angriff genommen. Eins allerdings hat sich wesentlich verändert: Die GRÜNEN sind inzwischen in der Opposition. Und: Sie erleben ein Umfragehoch, dass die "Financial-Times" mit der Überschrift versieht: "Trittin kann Kanzler werden". Es gibt keinen Kommentar der Ängste im Lager der Finanz-Zeitung, man fürchtet die GRÜNEN nicht. Sie haben sich im Saarland und in Hamburg als brave Partner der CDU bewährt. Und ihre Leistungen für die Groß-Finanz an der Seite von Gerhard Schröder sind unvergessen.

Schon im ersten Jahr der Schröder-Fischer-Regierung fiel der Spitzensteuersatz um satte elf Prozent. Auch die Körperschaftssteuer – mit der Kapitalgesellschaften ihre Gewinne versteuern müssen – wurde auf 25 Prozent gesenkt. Die Gewinne aus Verkäufen von Unternehmensteilen wurden gleich ganz steuerfrei gestellt. Die Finanzämter mussten den Unternehmen sogar eine halbe Milliarde Euro zurückzahlen. Schöne, neoliberale Zeiten im rot-grünen Wunderland. Nun kann man sagen, das ist lange her und Fehler kann man korrigieren. Aber im GRÜNEN-Programm steht, unter der Forderung nach Gerechtigkeit, die tapfere Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 45 Prozent. Das sind immer noch sieben Prozent weniger als jene 53 Prozent, die Helmut Kohl den Besserverdienenden abforderte und die Rot-Grün so flink senkte.

In den "Stichworten" des Grünen-Programms sucht man den Begriff "Hartz IV" vergeblich. Obwohl dieses Bürokratenmonster zu den bekanntesten Hinterlassenschaften der rot-grünen Koalition gehört. An anderer Stelle weiß man zwar: "Die GRÜNEN haben in der Regierung die sogenannte Hartz-IV-Reform mit getragen – ein schmerzhafter Kompromiss." Aber es muss sich um eine Art Phantomschmerz handeln, der sich in der erwähnten Regierungszeit weder durch ein Ach noch ein Weh bemerkbar gemacht hat. Statt Selbstkritik, Selbstbeweihräucherung: "Wir GRÜNE haben in unserer Regierungszeit seit 1998 einen Jobboom im Bereich der ökologischen Erneuerung ausgelöst", steht im aktuellen grünen Programm und mag in Maßen stimmen. Was nicht drin steht, ist die Verantwortung eben jener Regierung für die Ausweitung des Leiharbeit- und Minijob-Sektors, jener Beschäftigungsgegend, in der man sich arm arbeitet.

Nun sind die GRÜNEN ja bereits seit 2005 in der Opposition, Zeit genug, um sich von einer schweren Last zu befreien, der Zustimmung zum unsinnigen Afghanistan-Krieg. Doch noch vor einem Jahr stimmte eine GRÜNE-Mehrheit dem Einsatz von AWACS-Maschinen in Afghanistan zu, jenen fliegenden Feuerleitstellen, die das ISAF-Mandat mit der US-Anti-Terror-Operation auf das Schönste zusammenführte. Längst sind die heftig umstrittenen Flugzeuge wieder zurück. Doch das GRÜNE-Programm hält für Afghanistan immer noch preiswerte Polit-Lyrik bereit: "Der zunehmend riskante Bundeswehreinsatz ist nur dann weiter zu verantworten, wenn der Kurswechsel energisch umgesetzt wird." Den Kurswechsel gibt es nicht. Trotzdem fand sich Anfang dieses Jahres bei den GRÜNEN keine Mehrheit für ein NEIN gegen die Verlängerung und Aufstockung des Bundeswehrkontingentes in Afghanistan. Immerhin enthielt sich die Mehrheit der GRÜNEN-Abgeordneten im Bundestag. Das wird die zivilen Opfer des Krieges freuen.

Um die 20 Prozent erzielt die grüne Partei in den aktuellen Umfragen. Bei manchem Meinungsforschungsinstitut liegt sie sogar vor der SPD. Die Zeiten, als die GRÜNEN noch die Bürger schreckten, sind vorbei. Längst sind die Wähler der GRÜNEN selbst Bürger, man hat etwas zu verlieren, eine gute Positionen, die Eigentumswohnung oder auch den Stammplatz im angesagten Café. Dort, wo die Latte-Macchiato-Kultur den Schaum zum Wesentlichen erklärt hat, nicht den Kaffee. Das Alter fordert seinen Tribut. Ach ja, im selben Oppositions-Lager gibt es ja noch die SPD. Doch über Muckefuck ein andermal.