Zur Jahreswende meldete die FRANKFURTER ALLGEMEINE auf ihrer ersten Seite: "Unternehmen schaffen mehr Stellen". Um dann im Wirtschaftsteil eine umfängliche Statistik über Stellenabbau und Neueinstellungen anzuschließen. Wie hat man sich das vorzustellen, wenn Unternehmer "Stellen schaffen"? Geht da eines guten Morgens der Herr Henkel hin und sagt: Zu Neujahr gebe ich ein paar Stellen aus. Oder kriegt die Susanne Klatten (Anteilseignerin von BMW und andern Firmen) plötzlich einen sozialen Anfall, ruft irgendeinen ihrer Vorstandsvorsitzenden an und dekretiert tausend Neueinstellungen? So liest es sich in den einschlägigen Blättern, die von Anzeigen leben und die deutsche Sprache mit dem Begriff "konjunkturelle Eintrübung" verunreinigen: Geht es mal gut mit den Arbeitsplätzen, dann schaffen das die Unternehmer. Geht es schlecht, dann ist das Wetter und seine Eintrübungen verantwortlich.

Die schlichte Wahrheit lautet: Gibt es ausreichend Nachfrage nach den jeweiligen Produkten oder Dienstleistungen, dann stellt das Unternehmen Leute ein. Und keineswegs, weil es den "Bedarf befriedigen" will, wie nicht selten zu lesen ist. Es will Geld verdienen. Und es verdient eigentlich um so mehr, je weniger bezahlte, menschliche Arbeit in den Geldverdienprozess verwickelt ist. Deshalb sind ansteigende Beschäftigungszahlen nichts anderes als Signale dafür, dass ein Betrieb, trotz Überstunden und Zeitarbeitern, seine Aufträge mit den aktuellen Beschäftigten absolut nicht abarbeiten kann. Man kann bei jeder Einstellung die Zähne der Chefs knirschen hören und, zwischen dem ersten und dem zweiten Knirschen auch das Gemurmel vom Kostenfaktor.

Tritt man den vermeintlichen Fakten der FAZ näher, dann ist die Statistik der "Neueinstellungen in Deutschland" mit einem Sternchen markiert. Im Kleingedruckten wird das Sternchen erklärt: Es handelt sich bei den Zahlen um die "Ankündigung von mehr als 200 Einstellungen 2012". Nun, wenn die Ankündigung bereits eine Einstellung ist, dann muss der Flirt einer Geburt gleichgesetzt werden. Ganz vorne bei den Einstellungszahlen prangen die Namen von Zeitarbeitsfirmen. Das sind genau jene Menschenhändler, die seit der "Liberalisierung des Arbeitsmarktes" durch die Schröder-Fischer-Regierung den Menschenbedarf der Unternehmen in jener möglichst kurzen Zeit anliefern, die der jeweilige Betrieb gerade braucht: Von April bis Juni 300 Leute? Bitte sehr, bitte gleich. Dann braucht der Unternehmer niemanden fest anstellen. Der lästige Kündigungsschutz fällt weg. Genauer: Erst diese "Liberalisierung" hat die Massenentlassungen der letzten Jahre ermöglicht.

Während man noch darüber nachdenkt, dass es eine Perversität der Wirtschaftsseiten ist, dass sie die Neueinstellungen jener Firmen als Erfolg feiern, die für Entlassungen verantwortlich sind, wandert der Blick wieder ins Kleingedruckte. Dort markiert eine zarte "1" in der Fußnote bei allen Zeitarbeitsfirmen deren "offene Stellen". Da die FAZ es nicht tut, wollen wir es übersetzen: Die Zeitarbeitsfirmen haben den FAZ-Statistikern gemeldet, dass die Firma ICKS 500 Bauarbeiter braucht. Die sind nicht so schnell aufzutreiben. Aber weil sie schon mal angefragt sind, gelten sie der FAZ bereits als Neueinstellungen. Hier verwechselt die FAZ das Lotterielos mit dem Arbeitslos: Während das erstere einen möglichen Gewinn in Aussicht stellt, ist dem zweiten Hartz Vier gewiss. Siehste, hört man den Wirtschaftsredakteur ausrufen, wir verbreiten Gewissheiten.

Im Zentrum des großen Neueinstellung-Jubels der FAZ steht die Deutsche Bahn. Mehr als 8.000 neue Stellen habe die Bahn in 2012 geschaffen, trompetet die Redaktion. Warum sie dann in ihrer eigenen Statistik nur 5.000 neue Stellen ausweist, wird bis zu jenem Tag ein Rätsel bleiben, an dem die Wirtschaftsseiten vom Kaffeesatz auf den Taschenrechner umsteigen. Doch auch 5.000 Stellen wären es wert analysiert und begründet zu werden. In einer Zeit, in der es immer noch deutlich mehr als drei Millionen Arbeitslose gibt, wäre hier vielleicht ein gutes Beispiel zu verallgemeinern. Doch die FAZ speist ihre Leser mit Lyrik ab, statt sie mit Fakten zu füttern: Die Bahn, so erzählt uns die Zeitung, will sich schon mal Mitarbeiter auf Vorrat sichern, weil sie wegen der geburtenschwachen Jahrgänge sonst nicht genug Personal habe. Heilige Einfalt. Zum einen, lässt sich in den Unterlagen der Bahn nachlesen, werden die Umsätze des Unternehmens steigen. Vor allem aber müsse der Tag Urlaub, den die Eisenbahnergewerkschaft erkämpft habe, personell abgedeckt werden. So könnte aus der falschen Statistik noch eine handfeste Handlungsanweisung werden: Nicht auf die Gnade der Unternehmer warten, sondern durch Arbeitszeitverkürzung Arbeitsplätze schaffen. Aber so viel unverfälschte Volkswirtschaft verträgt der Wirtschaftsredakteur nicht. Er geht ohnehin nie in billige Volks-Wirtschaften, für ihn sind immer Plätze in den besseren Restaurants reserviert.

Kommentare (6)

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Das ist mal wieder ein typischer RATIONALGALERIE-Artikel: Analytisch, faktenreich und mitten zwischen die Augen. Das erwarte ich auch im neuen Jahr!

Roman Olschewski
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Was wundern Sie sich. Die FAZ ist nun mal das Zentralorgan der Unternehmer. Das verpflichtet zu dieser Lügen-Arie.

Falko Hartmann
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Sie unterstellen dem Redakteur der FAZ "heilige Einfalt", weil er vorgibt zu glauben, dass die Bahn auf Vorrat einstellt, wegen künftiger Personalknappheit. Ich glaube eher, dass er es besser weiß und einfach nur lügt.

Peter Petersen
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Wenn das so ist, dann müssen wir von teuflischer Vielfalt ausgehen.

Uli Gellermann
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Dir ein gutes und hoffentlich spannungsfreies Jahr 2013. Ich werde die Galerie wieder mit Gewinn lesen!

Thomas Nippe
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Ihr kleiner vulgär-marxistischer Exkurs zur Ausbeutung ist längst veraltet.

Jürgen Holtkamp
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