Es ist das flache Weltbild des Mittelalters, das sich die Bundestagsmehrheit mit der Abstimmung über den deutschen Afghanistan-Einsatz zu eigen gemacht hat. Wer über Afghanistan hinaus denkt, der fällt hinunter, in den Abgrund der Bündnislosigkeit, scheint die Mehrheit der Abgeordneten zu glauben und entscheidet sich für den Verbleib der Bundeswehr in Afghanistan. Bis zu jenem fernen Tag, an dem die Parlamentarier ihre Pensionen verzehren können oder eine neue US-Regierung vielleicht entscheidet, dass an anderen Orten Brand gestiftet werden muss, soll die deutsche Armee auf Posten bleiben.
Als hätte Afghanistan nicht eine lange gemeinsame Grenze mit dem Iran, als läge der Atomstaat Pakistan nicht gleich nebenan, als würde eine Rakete von Israel nach Teheran nicht nur Minuten brauchen. Als hinge die Entscheidung über den Verbleib deutscher Soldaten am Hindukusch nicht mit der verfehlten Nah-Ost-Politik der USA zusammen und ihrer wachsenden Aggressivität gegenüber dem Iran. Vor wenigen Wochen war im "New Yorker" zu lesen, dass Dick Cheney, der US-Vizepräsident und unheimliche Regent Amerikas, "chirurgische Schläge" der US-Luftwaffe auf militärische Einrichtungen des Iran planen lässt. Und wer auf einen Regierungswechsel, auf die amerikanische Opposition setzt, der konnte Hillary Clinton dabei beobachten, wie sie im Senat dafür stimmte, iranische Elitetruppen als "terroristische Vereinigung" zu qualifizieren. Das kann die politische Legitimation für einen Angriff auf den Iran bedeuten. Mit welchen Folgen in Afghanistan für die Bundeswehr zu rechnen wäre, ist abzusehen.
Der frühere Botschafter Israels in Deutschland, Avi Primor, malt in der "Süddeutschen Zeitung" ein Gespenst an die Wand: Wenn die Iranis den Irak, Saudi-Arabien und die Golfstaaten unter Kontrolle bekämen, dann würden sie über mehr als die Hälfte aller Erdölreserven der Welt herrschen. Anders als die Bundestagsmehrheit ist Primor in der Lage Zusammenhänge zu sehen, wenn auch nur solche die ihm passen. Er glaubt Amerikaner, Europäer und Araber akut vom Iran bedroht und empfiehlt natürlich eine gemeinsame Front. Tom Koenigs, deutscher UN-Beauftragter in Afghanistan, darf in der selben "Süddeutschen" ein paar Zentimeter höher auf der selben Seite, seinen verengten Blick präsentieren: Mehr Soldaten und mehr Geld verlangt er, um den "Rechtsstaat" durchzusetzen. Gegen wen, gegen die afghanischen Clan-Chefs und Opium-Produzenten, auf die sich das Regime in Kabul stützt?
Der Grünen-Politiker Tom Koenigs ist ein ehrenwerter Mann: Sein ererbtes Vermögen schenkte er dem gegen die USA kämpfenden Vietkong, an seiner Moral ist kaum zu zweifeln, an seiner Politikfähigkeit schon eher: Es gibt, lange vor dem guten Willen von Koenigs und anderen, die schlechten Interessen der USA in und um Afghanistan. Wer sich mit denen gemein macht, der kann eine eigenständige deutsche Position nicht durchsetzen. In einer Regierung, deren Chefin den Wettlauf mit dem französischen Präsidenten um die Zuneigung von George W. Bush gewinnen möchte, ist eine solche Haltung kaum zu finden. Anders als der englische Ministerpräsident, der sich vorsichtig aus dem Irak zurück ziehen will, um Wahlen zu gewinnen, glaubt Angela Merkel offenkundig, dass sie die Meinung der Wähler ignorieren darf: Sie will dabei sein, wenn die USA die Welt in Scheiben aufteilt. Eine Mehrheit des Parlamentes, darunter auch fünfzehn Angeordnete der Grünen, hat dieser Ignoranz ihre Stimme geliehen. Mit jedem Tag an dem die einfältige Militär-Logik im Irak den Terrorismus anwachsen lässt, wäre zu lernen, was man in Afghanistan nicht machen darf. Jeder Euro, jeder Mann der in Afghanistan das hinrissige Projekt der USA stützt, ermuntert den Größenwahnsinn der unkontrollierten letzten Supermacht. Jedes Ja zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan wird als Zustimmung zum nächsten, zum iranischen Abenteuer genommen. Die Erde ist eine Scheibe. Und Krieg löst alle Probleme.