Res Publica, öffentliche Sache, also Republik, nennen sich fast alle Staaten der Europäischen Union. Und es ist jene "öffentliche Sache", aus der angeblich das Gemeinwohl entsteht, über die das Volk, also jeder wahlberichtigte Bürger vorgeblich mitbestimmen kann. Doch in den letzten Jahren hat sich das Volk als ziemlich unnütze Ansammlung von Nichtskönnern erwiesen: Als ob Opa Karsupke zwischen Derivat und Desperat unterscheiden könnte, zwischen Aktion und Aktie, zwischen seiner schmalen Börse und der in New York, zwischen Dachs und DAX. Die neue Welt ist an den Karsupkes dieser Erde vorbeigegangen. Sie verstehen nicht, warum alle paar Monate ein paar Milliarden zur Rettung irgendwelcher Banken überwiesen werden müssen. Auch die aufwendigen Veranstaltungen ihrer Parlamente, in denen häufig ein heiteres Parlando die düstere Lage der Banken erläutern soll, ist ihnen fern und fremd. Wozu also die Republik, das Theater in den Volksversammlungen, die pädagogisch unnützen Börsennachrichten? Um die lästigen demokratischen Umwege abzukürzen, sollte sich die EU in eine Aufsichts-Räte-Republik umwandeln. Und die braucht eine Verfassung, die den wirklichen Machtverhältnissen gerecht wird.

Ganz sicher sollte der Artikel 1 einer neuen Ordnung künftig lauten: ALLE GEWALT GEHT VOM GELDE AUS. Das Volk, in den meisten Länderverfassungen noch als Souverän genannt, hat sich doch als völlig unfähig erwiesen mit Geld umzugehen. Also muss logisch fortgeführt werden: DIE WÜRDE DER BANKEN IST UNANTASTBAR. Denn jene sind es, die mit der Bürde leben müssen anderen Geld zu leihen. Und wie wird es ihnen gedankt? Nicht selten bekommen sie es einfach nicht zurück. Oder eben erst spät, auf dem Umweg über ein Rettungsprogramm. Ist den Banken, diesen Zitadellen monetärer Entwicklung, solch eine beschämende Warteschlange zuzumuten? Nein. Deshalb wird in der neuen Verfassung auch geschrieben stehen: DIE FREIHEIT DER BANK IST UNVERLETZLICH. Denn nur wenn die Banken so frei sind zu machen was sie wollen, kann das Gemeinwesen blühen und gedeihen. Kluge Regierungen haben längst begriffen, dass nur die Bankenfreiheit das Wohl und Wehe der Bürger bestimmt und engen die Freiheit der Banken deshalb schon lange nicht mehr ein. Doch für dieses ehrenwerte Handeln brauchen sie eine gesetzliche Grundlage. Zum Beispiel jenen jetzt schon legendären Artikel 3, der zu Recht besagen wird: VOR DEM GELD SIND ALLE GLEICH.

Diese Gleichheit vor dem Geld ist die wahre Egalité. Hat einer viel davon, ist ihm alles gleich: Was interessieren ihn Regierungen, Parlamente? Sein ist die Kraft und die Herrlichkeit. Die Frage was kostet die Welt, beantwortet er mit: Weniger als ich zahlen kann. Und denen, denen das Geld fehlt, denen ist alles egal: Sie haben ausgesorgt. Wie sollte man sich auch um etwas sorgen, das man nicht hat. Noch gilt in den meisten Verfassungen die Versammlungsfreiheit. Aber für wen oder für was? Ja, wenn es Aktionärsversammlung hieße, das würde den Fortschritt ernsthaft fort schreiten lassen. Schon deshalb sollten Wahlen und Abstimmungen, die angeblich noch die Staatsgewalt bestimmen, in die Tonne der Geschichte getreten werden: Jeder Bürger bekäme künftig eine Aktie, mit ihr übte er sein Stimmrecht aus. Und da er bisher schon verkauft wurde, wird er auch jetzt Abnehmer für sein Wertpapier finden, damit ihm die Last der Verantwortung abgenommen wird. So werden zu den Versammlungen nur jene zusammen kommen, die durch eine kräftige Akkumulation ihres Kapitals ihre Reife als Shareholder der künftigen Aufsichts-Räte-Republik bewiesen haben.

Auch im Alltagsleben der EU wird die Monetarisierung Einzug halten: Wer Schulden hat, wird künftig mit der elektronischen Fussfessel leben müssen, die Besitzer üppiger Konten aber werden immer Vorfahrt haben: An Ampeln oder vor Gericht. In den Kirchen wird nur noch das Matthäus-Evangelium gepredigt werden: "Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, dass er Fülle habe; wer aber nichts hat, von dem wird auch genommen, was er hat". Und in den neuen Kirchen der Nationen, den Talk-Shows, werden als Ausweise von Sachkenntnis die Bankauszüge der Teilnehmer eingeblendet sein. In den Ausweisen der Bürger sollten sich Stempel finden, die mit einem A für arm und einem R für reich eine Ordnung an Grenzen und Flughäfen herstellen, schicke Aufnäher mit diesen Buchstaben für Mäntel und Jacken werden für die notwendige Differenzierung im Straßenbild sorgen: So wird der ungezügelten Vermischung der Schichten auf Parkbänken oder Schulen ein Riegel vorgeschoben. Kenner des europäischen Alltags behaupten allerdings, dass diese Zukunft längst Einzug gehalten habe. Aber sie begrüssen, dass mit der AUFSICHTS-RÄTE-REPUBLIK die gesellschaftliche Wirklichkeit einen justiziablen Rahmen erhalten wird.