Zur Zeit wird in der Berichterstattung über den arabischen Raum viel von Demokratie geredet. Die einzig wirklich demokratische Wahl in dieser Gegend liegt fünf Jahre zurück und wird von den lauten Befürwortern der Demokratie - ob in Washington, in Paris oder Berlin - nicht anerkannt. Dabei waren die Regeln dieser Wahl mit demokratischen Feinheiten gespickt, wie sie kein westliches Wahlsystem kennt: Es gab eine Frauenquote und eine Quote für religiöse Minderheiten. Rund 900 internationale Wahlbeobachter befanden die Durchführung der Wahl als demokratisch und korrekt. Aber in den Augen des Westens und Israels hatte die Abstimmung einen schweren Fehler. Denn bei den 2006 in Palästina durchgeführten Wahlen gewann die "falsche" Partei: Die Hamas.

Während im scheinbar demokratisierten Ägypten das Militär, munitioniert und ausgebildet in den USA, die alten, undemokratischen Machtstrukturen konservieren will, während die Koalition der Willigen in Libyen versucht, eine sonderbare Sorte von Demokratie herbeizubomben, eskalieren die militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Hamas und Israel erneut: Rund um den Gaza-Streifen sind neue Kämpfe aufgeflackert. Herauszufinden wer genau an diesem aktuellen Konflikt - der nur die Verlängerung einer viel älteren israelisch-palästinensischen Auseinandersetzung ist - Schuld trägt, ist müßig. Nicht müßig ist es festzustellen, dass die Mehrheit der Toten in diesem Konflikt Araber sind.

Es gibt in der Dauergeschichte des palästinensisch-israelischen Konfliktes zwei gravierende Ereignisse, die man als Quellen aller folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen begreifen muss: Da ist zum einen der von der UNO 1947 beschlossene Teilungsplan Palästinas, nach dem den damals 609.000 in Palästina lebenden Juden, die kaum ein Drittel der Bevölkerung ausmachten, 55% des Bodens zugesprochen wurde. Wohingegen den 1,38 Millionen Arabern, also 69.4% der Bevölkerung, nur 42% des Landes zugedacht wird. Wenn einer doppelt so großen Bevölkerungszahl nicht einmal die Hälfte des Landes gegeben worden ist, dann ist das, vor allem unter den Bedingungen agrarischer Produktion, eine eindeutige Ungerechtigkeit. Auch wenn die UNO das schwere Verbrechen an den europäischen Juden in ihre Überlegungen zur Teilung des Landes einbezogen hatte: Niemand durfte und darf die Palästinenser für die deutsche Schuld verantwortlich machen, die Unschuldigen also mit faktischem Landraub zur Wiedergutmachung an den Juden heranziehen.

Der zweite Einschnitt in das Recht der Palästinenser auf eigenes Land war die widerrechtliche Annektierung des Westjordanlandes, Ostjerusalems, der Golanhöhen und des Gazastreifens durch Israel im Ergebnis des "Sechstagekrieges" im Jahr 1967. Zwar wurde der Gazastreifen Jahre später von den Israelis geräumt, aber die völlige Kontrolle der Grenzen, des Seezugangs und des Luftraums durch israelische Streitkräfte kommt immer noch einer Besetzung gleich. Dass sich die Zahl israelischer Siedler in den besetzten Gebieten nach dem Sechstagekrieg von Null auf eine halbe Million im Jahr 2006 gesteigert hat, vergrößert die Ungerechtigkeit weiter: Alles palästinensische Gebiet, das für eine Zweistaatenlösung infrage käme, gleicht einem Flickenteppich. Und er ist gewollt: Die Ansiedlungen sind steuerlich begünstigt, der Erwerbung von Wohneigentum wird dort subventioniert. Das historische Unrecht wird also nicht gemildert sondern weiter verschärft.

Man muss die Hamas nicht mögen: Sie ist antisemitisch (über ihren verständlichen Antizionismus hinaus), grotesk religiös und die Wahl ihrer Mittel im Kampf um die Autonomie der Palästinenser ist fragwürdig. Aber ihr Gegner, der israelische Staat, ist in seinen Mitteln auch nicht gerade wählerisch, zudem wird er mit jedem Tag religiöser und in der Behandlung "seiner" Araber rassistischer. Schon im israelischen Grundgesetz definiert sich der Staat als "jüdisch". Wie seine islamisch orientierten Araber, die mehr als 20 Prozent seiner Bevölkerung ausmachen, damit klar kommen, ist der Mehrheit offenkundig gleichgültig. Zuletzt gab es vor drei Jahren respektable Anstrengungen, die Hamas in den Friedensprozess im Nahen Osten einzubinden: Der amerikanische Ex-Präsident Jimmy Carter verhandelte mit dem Hamas-Chef und verkündete als Ergebnis "Es besteht kein Zweifel, dass die arabische Welt und die Hamas Israels Existenzrecht in den bis 1967 gültigen Grenzen akzeptieren würden." Israels Regierung mochte weder mit Carter noch mit der Hamas sprechen.

Im September dieses Jahres wird eine UNO-Vollversammlung einen unabhängigen Staat Palästina in den Grenzen von 1967 anerkennen. Und da es kein Militär der Willigen geben wird, um diesen Beschluss gegenüber Israel praktisch durchzusetzen, werden es die Palästinenser selbst versuchen. Es wird, wenn die israelische Regierung nicht einlenkt, mal wieder Krieg geben. Gegen den wird der jetzige Konflikt am Gaza-Streifen harmlos wirken.