Wunder gibt es immer wieder: Die Arbeitslosen sind weg. Sie können sich erinnern, in der schweren Schröder-Zeit gab es in Deutschland rund fünf Millionen Arbeitslose. Mit der Kanzlerin Merkel sind neue Zeiten angebrochen. Die Arbeitsagentur mit dem freundlichen Herrn Weise, der immer so eine seriöse Hornbrille trägt, meldet nur noch dreikommasechs Millionen Arbeitslose. Denn der Aufschwung hat uns alle erfasst und Frau Merkel ist die Königin der Doppelherzen und allen geht es gut.

Wenn einer nun vor dem Supermarkt immer noch den obligaten Obdachlosenzeitungsverkäufer sieht, wenn einer nun auf einer Strecke von fünfhundert Metern Hauptgeschäftsstraße die Wahl zwischen zehn Mützen, Papptellern oder Plastikbechern hat, in die er Geld reinwerfen kann, dann hat er Halluzinationen. Man nennt es das Gutmenschen-Sozial-Syndrom. Denn, spätestens seit Harald Schmidt wissen wir, dass gute Menschen böse denken. Sie glauben immer, sie müssten die Welt retten, dafür muss diese schöne Welt aber erst schlecht geredet werden und so entsteht das Sozial-Syndrom: Man sieht Armut wo keine ist. Denn Armut kann ja nicht sein, wenn die Arbeitslogkeit immer weiter sinkt.

Das international anerkannt schlechte deutsche Bildungssystem kennt Leseschwächen. Nicht selten kommen Rechenschwächen hinzu. Während wir nur noch dreikommasechs Millionen Arbeitslose verzeichnen, gibt es im gleichen Zeitraum fünfkommaeins Millionen Bezieher von Hartz IV. Das ist aber verzeichnet, sagt sich da der gesunde Menschenverstand, das geht doch gar nicht zusammen! Doch. Denn knapp die Hälfte der 345-Euro-Empfänger haben zwar eine Arbeit, verdienen dort aber so jämmerlich wenig, dass sie zwar nicht in die Arbeitslosen-Statistik kommen, aber Almosen erhalten müssen, um zu überleben. Und mit dieser schwachen Rechenleistung fallen zweikommafünf Millionen Menschen einfach aus der Erwerbslosenstatistik raus. Armutsstatistiken werden erst Weihnachten wieder veröffentlicht.

Für Wunder sind die Religionsbeamten zuständig. Unter ihnen der Abtprimas des Benediktinerorden, Notker Wolf. Der Abt kommt zur Zeit in sehr großen Farbanzeigen der überregionalen Blätter zu Wort. Eine solche Anzeige kostet so viel, wie das Almosensystem jährlich für einen Hartz IV-Empfänger ausgibt. Bezahlt wir das Traktat, auf dem der Abt, die Hände gefaltet, ein wissendes Lächeln um den Mund, vor einem Gebäude der Arbeitsagentur steht, von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Im Namen der Initiative verkündet der Abt in der Schlagzeile: »Arbeit ist lebensnotwendig.« Und da er das im Namen der Arbeitgeberverbände erzählt, die hinter der Initiative stecken und die Verantwortung für Millionen vernichtete Arbeitsplätze tragen, kann es sich bei dieser Aussage nur um ein Wunder handeln.

»Beschäftigung« predigt der Berufschrist, sei in Deutschland »immer nur mit finanziellen Fragen verbunden.« Und: »Wir müssen jeden Einzelnen fragen: Bist du wirklich bereit, eine Arbeit anzunehmen, auch wenn sie schlecht bezahlt wird?« Oh Herr, könnte darauf die Antwort lauten, wann erlöst Du uns von dem Übel derer, die in braunen Kutten falsches Zeugs über arme Leute reden und nicht darüber, dass diejenigen, die eine solche Anzeige bezahlen auch darüber reich geworden sind, dass sie Löhne auf eine Niveau drücken, auf dem Hartz IV zum Überleben nötig geworden ist. Und während der Herr sich ausschweigt legt der Abt noch einmal zu: »Müßiggang ist der Seele Feind.«

Die Seele von Monika B. aus Berlin-Neukölln ist ziemlich verletzt. Weil sie nicht länger müßig gehen, sondern mobil für die Arbeitssuche sein wollte, hat sie sich ein Sozialticket der Berliner Verkehrbetriebe gekauft. So eine Ticket bekommt man nur nach strenger Prüfung durch das zuständige Job-Center. Es kostet 33.50 Euro im Monat. Wer, wie Monika B., von den 345.- Euro leben muss, die man als Hartz-IV-Empfänger bekommt, für den sind 33.50 Euro drei Tage Essen. Aber wer in der Region nach Arbeit sucht, der kann das nicht zu Fuß erledigen. Monikas kleiner Sohn sieht im Fernsehen regelmäßig den putzigen Eisbären Knut. Den würde er gerne mal selber sehen. Mit der Arme-Leute-Fahrkarte könnte Monika mit ihrem Sohn den kleinen Eisbären im Zoo besuchen. Der Eintritt für Arbeitslose beträgt 9.00 Euro, der Sohn müsste nur 6.00 Euro bezahlen. Aber diese 15.00 Euro sind anderthalb Tage Essen. Knut ist gestrichen. Das tut Monika in der Seele weh.

Dass in der Arbeitsmarkt-Lügen-Statistik auch alle Vorruheständler, alle Altersteilzeitler, die Empfänger von Saisonarbeitergeld, Schwangere und Beschäftigte in gemeinnützigen Projekten nicht enthalten sind, bindet das Arbeitsmarktwunder noch stärker an den richtigen Glauben. Trotzdem könnten sich die notorisch gläubigen Medien mit den immerhin noch dreikommasechs Millionen arbeitslosen Menschen beschäftigen. Aber auch dort ist ein Wunder geschehen: Arbeitslosigkeit findet seit Monaten nicht mehr statt, ist aus den Fernsehsendern, den Radiostationen und den Mainstream-Zeitungen einfach verschwunden. Wer sich darüber wundert, der weiß vielleicht nicht, wer die teuren Anzeigen und Werbe-Spots bezahlt, mit denen der übliche Journalismus seine kümmerliche Existenz bestreitet.

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