"Wer taub, blind und stumm ist, lebt hundert Jahre in Frieden." So lautet jenes sizilianische Sprichwort, das die Omerta, das Schweigegebot des italienischen Traditionsvereins begründete, der sich Cosa Nostra nennt. Wenn sich in diesen Tagen der Finanzminister Wolfgang Schäuble dieses tiefen Schweigens annimmt, dann geht es ihm natürlich um eben diese sprichwörtlichen hundert Jahre Frieden für den deutschen Bundestag. Denn wenn sich das Parlament, dessen Name ja bereits eine gewisse Geschwätzigkeit andeutet, öffentlich mit den Rettungs-Milliarden für die Banken beschäftige, so Schäuble, dann könnte das "spekulative Prozesse" anheizen und die Handlungsfähigkeit der Regierung beeinträchtigen. Und schon wären die hundert Jahre Frieden dahin.
Wolfgang Schäuble kennt sich mit dem organisierten Schweigen aus, wie sonst keiner. In der CDU-Spendenaffaire hatte er sofort begriffen, wie wichtig es war, dass über die "Cosa Nostra" des Doktor Kohl, die "Gemeinsame Sache" der CDU, geschwiegen werden musste. Irgendwann im Sommer des Jahrs 1994 traf er sich in einem konspirativen Bonner Hotel mit dem Waffenhändler Karl Heinz Schreiber. Der hatte rein zufällig 100.000 Mark dabei, die Schäuble dann, fast versehentlich, an sich nahm. Das Geld sollte offiziell nie wieder auftauchen. Erst viele Jahre später, als die CDU unmässig unter öffentlichen Druck geriet, konnte sich Schäuble so halbwegs an die "Spende" des vorbestraften Karl Heinz Schreiber erinnern. Spätestens seit dieser Zeit weiß Schäuble, dass Parlamente lästig sind und Schweigen Gold bedeutet.
Das Omerta-Prinzip erweist sich auch außerhalb des Finanzsektors als völlig vernünftig. Wenn Deutschland mal wieder einen militärischen Einsatz im Ausland beabsichtigt, wäre ein Vorher-Drüber-Reden geradezu verhängnisvoll. Feinde, die traditionell den humanitären Einsätzen im Wege stehen, könnten die "Handlungsfähigkeit" der Stabilisierungs-Truppen beeinträchtigen und so "spekulative Prozesse" anheizen, die - nach dem Sieg der deutschen Waffen - einen schnellen, möglichst hundert Jahre währenden Frieden gefährden könnten. Don Schäuble denkt deshalb zur Zeit darüber nach, wie man eine zutiefst demokratische Beteiligung des Parlamentes nach dem jeweiligen Einsatz sichern kann.
Auch in anderen Bereichen der Politik ist das Parlament ziemlich hinderlich. Wenn so ein Innenminister mal wieder Daten sammeln muss, weil sonst der Terrorismus überhand nimmt, kann die Debatte im Parlament die Terroristen warnen. Die werden dann einfach keine Computer oder Handys mehr benutzen, und schon ist das Land dem Terror schutzlos preisgegeben. Auch die Verschärfung des Strafrechts darf keine öffentliche Sache mehr sein. Denn wie jeder weiß, würden Straftäter vermehrt strafbare Taten vor Einführung neuer Gesetze verüben, nur um billiger davon zu kommen. Wenn es eine Steuererhöhung geben sollte, darf darüber nicht geredet werden, bevor die Sache unter Dach und Fach ist. Andernfalls käme es sicher zur organisierten Flucht in Länder mit geringeren Steuern. Weil Schäuble das weiß, und auch um die Durchlässigkeit des Parlamentes, kommt eine Anhebung des oberen Steuersatzes auf keinen Fall infrage.
Schon als Schäuble noch Consigliere bei Helmut Kohl war, plädierte er für ein "Gesundes Nationalgefühl" und verstand so die Deutschen als eine große Familie, deren gemeinsame Sache durch ein gewisses "Elitebewusstsein" gestärkt würde. Dass ein Mann wie er auch Aussagen von Gefolterten vor Gericht verwenden will, entspricht einer alten Tradition: Ein "Uomo d’onor", ein "Mann der Ehre", weiß was er der Sicherheit der Familie schuldig ist. Auch deshalb hat er dem Parlament schon mehrfach ein Angebot gemacht, das es eigentlich nicht ablehnen kann: Den Einsatz der Bundeswehr im Inneren. So könnten denn bewaffnete Einheiten auf den Fluren des Bundestages dafür sorgen, dass Schäubles Omerta zu einem sehr endgültigen Stillschweigen führt: Capisci?