Was ist der Unterschied zwischen Ägypten und Talibanistan? Das letztere hat keine Strände und keine Palmen. Dieser bittere Witz hat einen wahren Kern: Die Hauptquelle der ägyptischen Gesetzgebung ist die Scharia, das Land liegt weltweit an der Spitze der Verstümmelung weiblicher Genitalien, Homosexualität wird mit Gefängnis bestraft, in Ägypten ist die Folter nach wie vor verbreitet. Ob Elektroschocks oder Vergewaltigung: In den ägyptischen Gefängnissen herrscht staatlich inszenierter Terror. Und das seit mehr als 30 Jahren, also jener Zeit, in der Hosni Mubarak Staatspräsident des Landes ist.
Dass die Dame Merkel gemeinsam mit den französischen und britischen Premiers die Ägypter vor ein paar Tagen zur "Gewaltfreiheit" aufrief -ausdrücklich waren beide Seiten gemeint, die revoltierende Bevölkerung und die Staatsmacht - kann nur als Verhöhnung des ägyptischen Volkes begriffen werden. Jene mehr als 80 Millionen Menschen, die seit Jahren staatlicher Repression, und offener Gewalt ausgesetzt sind, die in einem Land leben, in dem Korruption elementarer Bestandteil des Wirtschaftslebens ist und dessen Wahlen rituelle Fälschungen sind. Bei den Wahlen 2010 wurden Oppositionspolitiker verhaftet, die Mehrheit der Wähler ist erst gar nicht zur Wahl gegangen, die Medien bekamen einen Maulkorb.
Die USA nahmen Ägypten 1989 in die Liste ihrer wichtigsten Verbündeten außerhalb der NATO auf: Das liegt sowohl an der Appeasement-Politik Ägyptens gegenüber Israel, als auch an ganz praktischen Hilfen der ägyptischen Administration. In mehreren Fällen nutzte die CIA Ägypten als "Zwischenstop-Land", um entführte, angebliche oder tatsächliche Islamisten in illegale Gefängnisse weiterzuleiten. Angesichts des ägyptischen Staatsterrors ist es besonders pikant, dass März 1996 in Scharm-el-Scheich Staatsmänner aus aller Welt eine Charta gegen den Terror verabschiedeten.
Das deutsche Außenministerium spricht auf seiner Web-Site von einer "politischen Lage (in Ägypten), die durch lange Kontinuität in der politischen Führung des Landes gekennzeichnet" sei. Was wie beissende Ironie klingt, ist ernst gemeint. Gegenseitige Staatsbesuche (Merkel in Ägypten 2009, Mubarak in Deutschland 2010) unterstreichen das politische Einvernehmen. Das wird auch an den Waffenkäufen der Ägypter gelegen haben: 2009 wurden fast 80 Millionen Euro für deutsche Waffen ausgegeben. Vor allem Maschinenpistolen der Firma Heckler und Koch sind bei der ägyptischen Polizei sehr beliebt.
Man muss schon Guido Westerwelle (der seinen Weihnachtsurlaub in Ägypten verbracht hatte) heißen, um einen solchen Satz zu drechseln: "Dass es wirklich eine demokratische Entwicklung und Bewegung (in Ägypten) ist und nicht am Schluss Fundamentalisten und Radikale über Umwege an die Macht kommen". Es ist die westliche Furcht vor der "Muslimbruderschaft", die in Westerwelles Formulierung aufschimmert: Vor jener islamisch geprägten Bewegung, die, gäbe es in Ägypten freie Wahlen, längst die Regierung bilden würde. Nicht zuletzt deshalb, weil der Westen ein Regime stützt, das der Bevölkerung verhasst ist.
Was wird nach einem erfolgreichen Umsturz in Ägypten der Unterschied zu Afghanistan sein? Für einen Einmarsch in Ägypten langen die NATO-Kräfte schlicht nicht aus. Aber ganz sicher fände der ägyptische Präsident ein warmes Plätzchen im saudischen Exil, in einem Land mit ähnlich diktatorische Strukturen, das auch immer noch zu den besten Freunden der USA und der EU zählt. Bis zum nächsten Umsturz.