Wie fast alle wissen, auch die Bildzeitungsleser, ist Boulevard-Journalismus einseitig, hascht nach Effekten und ist schlampig recherchiert. Seriöse Blätter recherchieren gründlich und sind unparteiisch. So ein Blatt soll der "Spiegel" sein. Und wer die Ausgabe vom 30. Mai liest, der möchte das auf den ersten Blick auch glauben: Ein vielköpfiges Journalistenteam hat rund 30 Seiten zum Thema Neuwahlen zusammengebracht. Eine ordentliche Leistung, sollte man meinen.

Gleich mit dem Aufmacher "Schröders Endspiel" verfolgt der "Spiegel" die Dolchstoss-Legende: Die eigenen Genossen seien es, die den Kanzler demontieren wollten und denen sei er jetzt zuvorgekommen. Trotz des bekannt guten Recherche-Apparates ist diese originelle These nirgends belegt. Im Gegenteil ergeben die gut dokumentiert Fakten, dass neun verlorene Landtagswahlen und jede Menge Parteiaustritte in der Ära Schröder die SPD heftig beschädigt haben. Um aber der Legende Futter zu geben, wird den Normal-Sozialdemokraten eine "Allergie", also eine Krankheit, attestiert, "die sich auf alles bezieht, was den Namen Reform trägt. Wer gegen "Reformen" ist, kann nur krank sein und diese Kranken zücken natürlich gerne ihre Dolche. Kein Nachdenken über ein Schröder-Harakiri als Ergebnis der eigenen Politik.

In einer Reportage über den SPD-Ortsverein Duisburg-Homberg und den Wahlhelfer Hans-Joachim Paschmann ist seriöser und gekonnter Journalismus zu erkennen: Sehr präzise Beobachtungen des SPD-Alltags ganz unten werden dicht beschrieben. Wer zu Ende liest, kann sich den Paschmann in all seiner Disziplin und Hoffnungslosigkeit gut vorstellen. Leider kommt der Autor auf die Idee, dass sich der Wahlhelfer zwischen Reform und Sozialromantik hätte entscheiden müssen, mixt also Berichterstattung mit seiner schnöseligen Meinung und hält, besser verdienend nicht besser wissend, die Fahne neoliberaler "Reformen" hoch. Aber die waren doch gerade bei der NRW-Wahl untergegangen.

In der Rubrik "Gesellschaft" wird den blöden Arbeitslosen der "Spiegel" vorgehalten: Die mangelnde Flexibilität der Deutschen wird beklagt, dass der Schlosser partout nicht Kellner werden will und der Tischler nicht Spargelstecher. Schade, dass dem Blatt der Lehrer entfallen ist, der nicht Straßenfeger werden will, der Web-Designer, der nur zu faul ist Masseur zu werden, fehlt auch. Die Zahlen zur neuen Armut werden erwähnt: "Elf Millionen gelten als arm in dieser Republik." Alexander von Schönburg, der ein Buch über "stilvolles Verarmen" zustande gebracht hat, erhält Haltungsnoten: "... der Mann hat viel Kluges zu sagen." Er habe festgestellt, dass jeder seine Probleme an den Staat delegiert. Kein Denken an die gesetzlich verankerte Subventionen für Apotheker oder staatliche Finanzhilfe für Industrieansiedlungen, gemeint ist das "Anspruchsdenken" der Normalos.

Um die Achse der Guten zu stärken, darf der pakistanische Diktator in seinem Interview über die Jagd nach Bin Laden parlieren und die Notwendigkeit, die Taliban mit allen Mitteln zu unterstützen: "Damit die Berliner Mauer fallen konnte, musste der erste Schlag in Afghanistan geführt werden." Na klar, deshalb musste auch, mit pakistanischer Hilfe, das heftig angebaute Opium in den Westen exportiert werden. Nur nicht nachfragen, man könnte ja unseriös wirken. Lieber schleimen: "Spiegel: Wer in Pakistan oder auch Afghanistan regiert, muss offenbar einen Tiger reiten können". Will heißen, Tiger vertragen keine Demokratie.

Ein wirklicher Höhepunkt sind Peter Schneiders Betrachtungen über Rot-Grün, die 68er und die Niederlage in NRW. Schneider rechnet der rot-grünen Regierung rückblickend hoch an, dass sie "mit dem bequemen, gedankenfaulen Pazifismus der Kohl-Jahre gebrochen" habe. Denn, "Hut ab vor Joschka Fischer", die Rot-Grünen habe es auf sich genommen, "die Nation in den Krieg gegen das damalige Jugoslawien zu führen". Die Lügen im Goebbels-Format der Herren Scharping und Fischer sind längst widerlegt, aber Schneider darf unwidersprochen seinen Hut vor einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg ziehen und die Redaktion erinnert nirgendwo daran, dass die Probleme des Balkans nach wie vor ungelöst sind. Hut ab und die moderne, neoliberale Brille auf: Dem armen Schröder, so Schneider, sei es nie gelungen, die "Gerechtigkeitshuberei" mancher Sozialdemokraten als "Gruppenegoismus zu entlarven". Tatsächlich gab und gibt es immer noch Sozialdemokraten, die der Gruppe der Arbeitslosen zu gerne Arbeit gäben statt Ich-AG´s zu fördern. Wie taktlos, hat Schneider doch entdeckt, dass Gerechtigkeit und Modernisierung ebenso wenig zu verbinden ist, wie Markteffizienz und soziale Sicherheit. Der Autor, will natürlich Modernisierung und Markt, Gerechtigkeit ist ihm Huberei und soziale Sicherheit hat er schon, was wollen denn dann die anderen damit?

Auf den Spiegel-Klatschseiten, den "Personalien", erfahren wir aus zweiter Hand Banalitäten über Papst Benedikt, alles aus englischen Zeitungen zitiert. Es ist Second-Hand-Journalismus, mit dem der Spiegel handelt, es ist der Mainstream der aus den Seiten tropft. Der ganze große Spiegel-Aufwand bemäntelt eine armselige Position: Was gerade allgemein geschwätzt wird gibt den Ton an. Aber es gibt doch schon den "Focus".





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