Mit hämischem Grinsen kommentierte das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung jüngst die Occupy Wall Street-Bewegung: "Protest ohne 68er" lautete die Schlagzeile. Barbara Schneider-Reilly ist eine 68erin. Allerdings eine, die seit gut 40 Jahren in New York lebt. Zu gern würden die schlauen Auftragsschreiber die Generationen des Protestes trennen. Denn "allein machen sie dich ein". Barbara hat ein ganzes Leben gemeinsam mit anderen gekämpft. Hier ihr Bericht aus New York:
Letztes wochenende verbrachte ich im gefängnis. Bei einer aktion, einem teach-in, das etwa 20 studenten in einer citibank-filiale abhielten, war ich mit der ganzen gruppe verhaftet worden. Ich war runter zum washington park square gegangen, und wollte einfach nur sehen, wie diese occupy wall street bewegung aus der nähe aussieht, das war schon sehr interessant. Viele junge leute waren natürlich da. Sie hätten unsere kinder oder enkel sein können. Doch auch viele andere, aus allen generationen, die mitmachen, zu demos gehen, die bewegung unterstützen, und den slogan unter die leute bringen: Wir sind die 99 Prozent! Der ist schon genial, denn er ist schlicht und klar. Jeder weiss, wer gemeint ist: Auf der einen Seite WIR, die 99 Prozent von UNTEN. Und auf der anderen Seite DIE, der schäbige Rest von OBEN.
Verschiedene gruppen entschlossen sich, zu dieser oder jener bank zu gehen. Ich schloss mich der gruppe an, die zur citibank ging. wir gingen rein und veranstalteten ein kleines teach-in, durchaus höflich. Doch die stories, die von den jungen Leuten erzählt wurden - sie waren fast alle studenten - waren schlimm. Eine junge frau erzählte, wie sie bereits mit 100 000 dollars in schulden steckt und wie die citibank ständig die zinsen erhöht, so dass es immer extremer wird. Nach der aufforderung, die bank zu verlassen, machten sie einfach weiter. Jeder erzählte einfach seine story. Ich war natuerlich bei weitem die älteste und wollte auf keinen fall verhaftet werden. Das kann ich mir bei meinem immigranten-status gar nicht leisten. Doch als wir raus wollten, kamen so riesige undercover cops von draussen rein, die liessen uns nicht mehr raus. Besonders einer der üblen Typen, der hatte es richtig auf mich abgesehen und drückte mich brutal zurueck und sagte, "NO, YOU're not getting out!" Zwei von unseren leuten waren gekommen, um nicht anderes zumachen, als ihre bank-accounts in der citibank zu schliessen. Auch sie wurden verhaftet. Niemand hatte eine öffentliche warnung ausgesprochen, sowas wie: "Ihr geht jetzt raus oder ihr werdet verhaftet". Es war klar, die citibank wollte uns verhaften lassen, und die white shirts, die jetzt reinkamen - also polizeioffiziere in weissen hemden, legten uns schliesslich handschellen an, und dann folgten ziemlich widerliche 30 stunden in haft.
Wir waren in den berühmten tombs, der grossen sammel-zelle, elf frauen von der bewegung und zwei völlig heruntergekommene schwarze frauen auf Crack, die sich die einzigen zwei matratzen, die es in dieser mittelalterlichen sammelzelle gab, unter den nagel gerissen hatten und die in der nacht wüst schrienen und permanent brüllten und es damit unmöglich machten zu schlafen. So verbrachten wir die vielen stunden auf ganz engen, harten bänken, zwar ohne decken, aber in der gesellschaft von zwei ausgetrockneten scheiben brot und mit einem ausgetrockneten lappen käse. Für die jungen frauen, alle in ihren frühen zwanzigern, ging das mit den harten bänken noch, sie haben gute knochen und können sich auf diesen pritschen irgendwie zurechtbiegen, doch für unsereins war das hart.
Die erfahrung war übel in jeder hinsicht. Wir alle konnten die totale irrationalität sehen, den absurden bürokratischen aufwand, der da betrieben wird. Ständig wurden wir in handschellen gelegt, bei jedem kleinen gang. Bei jedem transfer, Die staats-terroristen haben tatsächlich gesiegt. Die kultur in so einer anstalt ist eine mischung aus atemberaubender inkompetenz und brutalem druck. Allein das fingerprinting von 20 leuten dauerte stunden, man will es nicht glauben. Sie schienen total überfordert von 20 verhaftungen, spaeter kamen weitere 40 vom times square dazu. Es war eine mischung aus unvermögen, desorganisation und roher gewalt, die fast immer spürbar war. Es gab kaum einen verbalen austausch ohne harschen befehlston, um nicht zu sagen gebrüll, sich dahin zu stellen, dorthin zu bewegen, dies und jenes zu unterlassen. Die durchsuchung und verlagerung deiner sachen dauert dann nochmal stunden ... dann musste jeder von uns sein id-card zurückerhalten, um zwei treppen höher die nächste stufe im verhaftungsprozess zu durchlaufen, Das hieß, alles nochmal durchkramen, dann hat eine der ständig brüllenden female cops irgendeine anweisung nicht befolgt, alle handcuffs werden uns wieder angelegt, alle treppen wieder runter, jawohl in ketten (!!), alles muss nochmal durchsucht werden. Das chaos und die schinderei ist fast fast unvorstellbar.
Es gab allerdings einige wenige cops, die uns ganz offen sagten, "we support you". und, "wenn ich könnte, wuerde ich bei euch mitmachen." Ein paar haben das - auch im sinne ihren kollegen - zu uns gesagt, meist schwarze polizisten. Doch andere behandelten uns wie kriminelle. Das klima, das solche einrichtungen geradezu züchtet, ist widerlich. Als wir schliesslich rauskamen, wurden wir wie helden von leuten aus der bewegung begrüsst. Sie hatten selbst-gedrehte zigaretten mitgebracht, schokolade, mützen gegen die kälte, getrocknete aprikosen, menstruationsbinden, rührend, eben an alles denkend, standen sie da vor dem riesigen justiz-gebäude und warteten auf unsere entlassung. Doch selbst die jungen frauen waren fertig - physisch und mit den nerven. Da hielt ich es psychisch wahrscheinlich noch besser aus als manche von ihnen: ein langes leben bringt erfahrung, auch und gerade im widerstand. Insgesamt waren die jungen leute schon sehr eindrucksvoll. Niemand will aussteigen. Niemand jammerte. Die gesellschaft soll verändert werden. Sie bestehen darauf und, so hoffe ich, werden weiterhin - trotz aller schwierigkeiten, mit denen wir naturlich rechnen müssen - darauf bestehen und dafür kämpfen.