Schön weiß ist der Zucker wenn er raffiniert wird, viele kleine Kristalle rieseln in Tee oder Kaffee. Ist aber einer raffiniert, dann spricht man ihm eine Gewitztheit zu, die einen Beigeschmack von abgefeimt hat. Barbara Bongartz Buch "Perlensamt" ist ein raffiniertes Konstrukt. Sie spielt mit der mörderischen deutschen Vergangenheit, mit dem Kunstmarkt und der Zweigeschlechtlichkeit, die in uns allen steckt. Vor allem spielt sie mit ihrem Leser Verstecken, dieses schöne Kinderspiel bei dem einer lauthals zählt und versucht durch die Hände zu schauen, um die Versteckten aufzuspüren. Nur, Bongartz zählt und versteckt zugleich.

Um den richtig falschen Blick auf das Deutschland unserer Tage zu richten, ist die zentrale Figur in "Perlensamt" Martin Saunders, einer der zwar in Deutschland geboren wurde, aber in den USA aufwuchs, um später als Kunstexperte für ein amerikanisches Auktionshaus nach Berlin zu kommen. In diesem Berlin, dieser Stadt voll falscher Erinnerungen und richtiger Lebensläufe, trifft Martin auf David Perlensamt: Ist dessen Leben so gelaufen, wie er es dem Leser weismachen will? Ist er der Sohn von Otto Abetz, Hitlers letztem Botschafter in Paris? Sind seine Eltern Profiteure des großen Kunstraubs der Nazis in den besetzten Gebieten und den Wohnungen der europäischen Juden? Vor allem aber: Ist der ungemein attraktive David schwul und vielleicht auch Martin Saunders?

Einmal erinnert sich die Bongartz im Buch ihrer rheinischen Heimat: Das wunderschöne Wort "Schmierlapp" gerät ihr in die ansonsten wohlgeordneten, hochdeutschen Sprachabläufe. Das Rheinische hält kaum eine verächtlicheres Wort für einen Menschen bereit: Der Schmierlapp ist eine besonders widerliche Form des Betrügers. In Bongartz Buch meint der Begriff Otto Abetz, den Nazifunktionär, der sich seine Kunstsammlung zusammenraubte. Da kommt die Schriftstellerin für einen Moment aus dem Versteck, zitiert einen Dank des vorzeitig aus der Haft entlassenen Naziverbrechers an einen Jugendverband der FDP, der für seine Amnestie Unterschriften gesammelt hatte. Da war doch was, der damalige FDP-Vorsitzende mit seinem ständigen Eisernen Kreuz am Hals, die Atmosphäre der Fünfziger Jahre in der Bundesrepublik, das Verschwiegene, Verdruckste und der temporär gelungene Versuch Verbrecher wie Abetz zu rehabilitieren, doch dann nimmt die Bongartz auch diese Figur wieder ins Versteckspiel, ins raffinierte Konstrukt, um noch mehr Spannung zu erzeugen, als die deutsche Geschichte ohnehin bereit hält.

"Du hast doch keine Ahnung, was in unserem Land geschah", lässt die Schriftstellerin ihre Figur Mona sagen, eine Kollegin von Martin, die schön und begabt ist und russisch spricht, "weil ihr Vater überzeugter Kommunist gewesen war, bevor er an einer Staublunge starb". Sollte das Buch doch ernsthafter und gründlicher werden als bis zu dieser Stelle angenommen? Aber Mona erweist sich eher als Staffage, als eine weitere Spielerin im Gebüsch oder hinter den Tonnen der Müllabfuhr. Sie wird, sterblich in Martin verliebt, doch den windigen David, dem sie anfänglich misstraut, pflegen und so das tun, was die handelnden Personen der Bongartz am liebsten tun. Den Leser an der Nase herumführen.

Barbara Bongartz lässt hoffen: Anders als eine Reihe deutscher Nachwuchs-Schriftsteller, deren Selbstverliebtheit sich in schwachen Personen und schwächlichen Ansichten erschöpft, nimmt sie deutsche Geschichte und Gegenwart wahr. Mit "Perlensamt" hat sie einen spannenden Roman, der zwischen Krimi und Doku-Fiction pendelt, vorgelegt. Etwas weniger labyrinthische Handlung, etwas mehr Vertrauen in die eigene schriftstellerische Kraft, und sie ist reif für die erste Reihe deutscher Schriftsteller. Da ist noch viel Platz.