„Inglourious Basterds“, unrühmliche Bastarde also, aber mit e statt a und einem u zuviel. Englischlehrer mögen da ihren Rotstift zücken, für Filmkritiker sollte es Wichtigeres geben. Doch in den Besprechungen des so betitelten neuen Films des US-Regisseurs Quentin Tarantino gibt es allerlei wohlwollende Deutungen bis hin zu Versuchen, Tarantinos eigenwilligen Umgang mit der englischen Rechtschreibung geradezu tiefenpsychologisch zu interpretieren. Erwähnenswert ist das hier nur als Teil der nach Art und Umfang nie zuvor erlebten Medienresonanz, die den neuen Film des „Kultregisseurs“ schon vor Drehbeginn und bis über den Kinostart hinaus zu einem „Event“ ersten Ranges gemacht hat. Und die – davon wird noch zu reden sein – im Rückblick den Eindruck einer regelrechten Kampagne entstehen lässt.

Zunächst aber zu Person und Werk des derart hoch Bejubelten (oder auch Hochgejubelten). Der heute 46 Jahre alte Tarantino stammt aus Tennessee und hat seit dem sensationellen Start mit seinem Erstling „Reservoir Dogs“ 1992 beim Festival von Sundance bis heute sechs (nach anderer Zählweise sieben) Spielfilme inszeniert und für ein paar andere, u.a. Oliver Stones „Natural Born Killers“, die Drehbücher geschrieben. Sein „Markenzeichen“ sind exzessiv sadistische Gewaltszenen und lange, zwischen Banalitäten und menschenverachtendem Zynismus pendelnde Dialoge sowie mit fortschreitender Karriere eine gesteigerte Vernarrtheit in filmgeschichtliche Zitate und Anspielungen.

Letzteres darf als eine Spätfolge seiner Sozialisation gesehen werden. Seine damals 18-jährige Mutter zog mit dem Zweijährigen von Tennessee nach Los Angeles, wo er schon als Junge seine Freizeit vor allem in Vorortkinos verbrachte. Mit 17 brach er die Schule ab, ein paar Jahre später bekam er einen Job in einer Videothek, wo neben Filmklassikern vor allem asiatische Kampfsportfilme und billige B-Filme seine „Kulturnahrung“ wurden. Sie sind es bis heute wohl geblieben. Originalton Tarantino im Interview mit „Village Voice“: „Ich habe zwar die Mittelschule abgebrochen, aber im Herzen bin ich Akademiker, und mein Studium ist das Kino. … Es ist, als studierte ich ein Leben lang auf eine Professur für Film, und mein Todestag wird der Tag meiner Ernennung sein.“ Doch solche Ambitionen sind für Tarantino längst zu klein geworden. In Cannes, wo „Inglourious Basterds“ nur den (verdienten!) Darstellerpreis für Christoph Waltz als zynischer SS-Offizier Hans Landa erhielt, tönte der enttäuschte Regisseur: „Ich bin gar kein amerikanischer Regisseur. Ich mache Filme für den Planeten Erde.“ Vergrätzt wie ein Kind, dem man seinen Teddy weggenommen hat, blieb er der Ehrung für seinen Hauptdarsteller fern: „Das war nicht meine Party.“

Dabei hat er es eigentlich sich selbst zuzuschreiben, dass Waltz ihm, wie viele meinen, „den Film gestohlen“ hat. Tarantinos Regie verliert sich ins Episodische, eine durchgängige Dramaturgie ist nicht erkennbar. So sind die im Titel angesprochenen Bastarde, ein verwegener Trupp amerikanisch-jüdischer Freischärler, die hinter der Front im besetzten Frankreich Nazis aufspüren, abschlachten und nach Indianerart skalpieren, tatsächlich nur Nebenfiguren. Tarantino nutzt sie, um in ihren Taten seinen Gewalt- und Rachephantasien in vielerlei Gestalt freien Lauf zu lassen und zugleich – soviel Sinn fürs Geschäft muss sein – Rollen für ein paar zugkräftige Stars zu finden, allen voran Frauenschwarm Brad Pitt als Oberbastard mit einem schwer verständlichem Südstaatengenuschel. Zur Nebenfigur wird auch die junge Jüdin Shosanna Dreyfus (Mélanie Laurent), die einzige Überlebende des von Landa befohlenen Gemetzels in der ersten Episode, die in der Schlussepisode ihr Kino und sich selbst opfert, um dem Naziregime ein feuriges Ende zu bereiten – ein Jahr vor dessen tatsächlichem Ende.

Sie alle verblassen gegen den brillanten, in vier Sprachen mühelos parlierenden Feingeist mit österreichischem Charme und zugleich sadistischen Judenjäger Landa, und Waltz’ feinnerviges, äußerst kontrolliertes Spiel kostet die Nuancen und Extreme seiner Rolle voll aus. Umso deutlicher wird spürbar, dass Landas geistiger Vater Tarantino diese Rolle mit besonderem Eifer und sichtlicher Wonne geschrieben hat. Genüsslich dehnt er schon den ersten Auftritt seines Helden und dessen als Austausch von Freundlichkeiten maskiertes Verhör eines französischen Bauern, der Juden versteckt hält, und um Landas (und seine eigene) perverse Vorfreude auf das kommende Massaker auch den Zuschauer richtig auskosten zu lassen, lässt Tarantino seinen Kameramann Bob Richardson einen Schwenk durch die Fußbodendielen hinunter in den Keller machen; was uns die Kamera zeigen muss, weiß sein genial hellsichtiger Held Landa ohne Hinschauen, wie er auch die fliehende Shosanna mit einem vieldeutig vorausahnenden „Auf Wiedersehen“ ziehen lässt.

Nicht zufällig hat sich Tarantino über diese seine Kreation besonders stolz geäußert: „Landa ist eine der besten Figuren, die ich je geschrieben habe“, sagt er der „Village Voice“-Interviewerin Ella Taylor, der er sodann ausführlich darlegt, warum für ihn Gewalt „eine der wichtigsten Ästhetiken des Kinos“ ist: Wie andere von ihm verehrte Filmemacher setze er auf Gewalt, weil „sie mir und dem Publikum einen Kick gibt.“ Allerdings scheint das Publikum den „Kick“ nur bedingt zu teilen. Nach einem furiosen Start des Films brachen die Besucherzahlen in der zweiten Woche zum Teil auf die Hälfte ein; in der von mir besuchten Vorstellung verloren sich in einem großen Kino knapp 30 Besucher, und dies trotz verbilligtem „Kinotag“ und – so müsste man hinzufügen – trotz einer beispiellosen Werbe- und Medienkampagne, in der die ohnehin schon verblasste Trennlinie zwischen angemessener Berichterstattung und PR-Werbung kaum mehr erkennbar blieb.

Bemerkenswert ist dies vor allem im internationalen Vergleich. Zwar wurde die US-Produktion in etlichen Nebenrollen mit deutschen Darstellern besetzt, größten Teils in den Babelsberger Studios gedreht und vom Deutschen Filmförderfond (DFFF) sogar mit 6,8 Millionen Euro (das entspricht einem Neuntel des DFFF-Jahresetats!) gefördert, doch dies allein erklärt nur halb, warum die internationale Resonanz soviel geringer und vor allem soviel differenzierter war als die deutsche. Noch ehe im Oktober 2008 die Dreharbeiten begannen, war die Klatschpresse voll mit Mutmaßungen, welcher deutsche „Star“ welche Rolle bekommen könnte oder sollte, und schon seit Mitte August 2008 kursierte das frühzeitig ins Internet lancierte Drehbuch in der Tarantino-Fangemeinde. Da mochte selbst die Redaktion der „Süddeutschen Zeitung“ nicht zurückstehen und ließ am 13. August 2008 ihren Autor Thomas Kniebe viele Drehbuchdetails veröffentlichen und spekulieren: „Wird das alles wirklich genauso wahnsinnig, wie es jetzt schon klingt?“ In Kniebes Cannes-Bericht wird später Tarantino als „genauso inspirierender wie strafender, brillanter wie launischer Gott“ zur Ikone, und in Kniebes Rezension zum Kinostart tut er andere Filme zur Nazizeit als „Sackgasse“ unerreichbarer Authentizität ab und jubelt dann: „Tarantino schüttet Benzin ins Feuer des Nazifilms, für den ganz großen Rumms, der den Weg wieder freisprengen soll. Eine irre Idee. So irre, dass sie funktionieren könnte.“

Kniebes Feldzug für Tarantino wäre kaum bemerkenswert, stünde er nicht im Kontext eines großen Trends in den deutschen Feuilletons. Gegen kritische Einwände seitens vieler ihrer US-Kollegen scheint die deutsche Kritikerzunft zur Verteidigung ihres Idols die Reihen fest geschlossen zu haben. Newsweek-Autor Daniel Mendelsohn wirft Tarantino vor, er vertausche Kino und Realität, jüdische Opfer und Nazi-Täter – und wird von Ekkehard Knörer für die „moralische Absage an die abendländische Kulturgeschichte“ abgewatscht. In der „New York Times“ benennt Manohla Dargis „Geschmacklosigkeit und hyperbolische Gewalt“ als Wesensmerkmale der Filme Tarantinos, der „nichts ernst nimmt außer seinen eigenen Filmen“, und auf Jim Hoberman („Village Voice“) wirkte die Landa-Figur wie ein „Eichmann als Witzfigur“. Hierzulande aber geht man - von bekannten „Edelfedern“ bis hinunter zum Szeneblatt - Tarantinos Suchspiel mit Filmzitaten arglos auf den Leim, übersieht gnädig den oft holprigen Schnitt und die Anachronismen und stimmt stattdessen unisono das große Gloria an. „Ein mächtiges, überwältigendes und zugleich beklemmendes Kunstwerk“ lobhudelt Regisseur Tom Tykwer im „Stern“ als Dank dafür, dass er die deutschen Dialoge schreiben durfte. „Ein großer und kluger Film“ tönt ein Herr Suchsland und spricht von „Tarantinos Triumph des Willens“, und Hannes Stein in Springers „Welt“ legt nach mit einer doppelten Lüge: die Rezension Hobermans deutet er positiv um und unterschiebt ihm mit „Quentins Endlösung“ zudem eine Überschrift, die dieser nie verwendet hat. Der sonst so kluge Georg Seeßlen postuliert, an „Inglourious Basterds“ müsse sich „das, was Geschichte, Erinnerung, Erzählung und Kino ist, neu definieren“. Selbst längst tot geglaubte Denkmuster wie das von den Nazis als das mythische Böse erstehen wieder auf, wenn Jan Schulz-Ojala im Berliner „Tagesspiegel“ Tarantino einen „dramaturgisch und kinematografisch mit allen Mitteln ausgespielten Exorzismus“ vollziehen sieht.

Die Leserkommentare im gleichen Blatt sprachen freilich eine andere Sprache. Ein Leser bemängelte „diese endlose Lobhudelei Herrn Tarantino gegenüber“, ein anderer fragte sich, ob Tarantinos PR-Agentur der Vielzahl an Jubelartikeln vielleicht mit Geld nachgeholfen habe. Aber Geld muss dazu nicht fließen, Hollywood hat feinere Methoden. Filmmarketing-Expertin Petra Schwuchow dazu in der „Süddeutschen Zeitung“: „Ich habe den Eindruck, dass das Ganze gerade eine große, immer perfekter werdende Maschinerie wird. Hollywood steuert zum Beispiel bei großen Filmen weltweit genau den Zeitpunkt, zu dem bestimmte Meldungen veröffentlicht werden.“ Galt das auch für das Basterds-Drehbuch?

Und wer steuert sonst noch? Man muss nicht gleich eine große Verschwörung am Werk sehen. Wer nicht ewig zum nie wirklich entnazifizierten „Tätervolk“ gehören will, kann der Bestrafung der Täter gelassen zusehen – ist ja nur Kino. Und hat nicht deutsches Geld und ein deutsches Studio „Wiedergutmachung“ geleistet mit Tarantinos Hilfe – und so nebenbei die Existenz des Studios wenigstens auf Zeit gesichert? Die Babelsberg-Studios und die Potsdamer Behörden jedenfalls haben es ihm schon gedankt. Sie haben nach ihm gleich eine Straße benannt – und so nebenbei den Namen Heiner Carows, eines der großen DEFA-Regisseure getilgt. Nur weiter so! Wie wäre es mit einer Dr. Fritz Hippler-Straße? So hieß nämlich der Herr, der als Stellvertreter Goebbels’ seinerzeit die Filmproduktion der Nazis kontrollierte und für einen besonders üblen antisemitischen Hetzfilm verantwortlich zeichnete, den Tarantino seinem Filmteam zur Einstimmung zeigte. Aus diesem „Der ewige Jude“ nämlich - und nicht von dem politisch unbedarften Tarantino – stammt der Vergleich der Juden mit den Ratten, den sein heimlicher Held Landa zu Filmbeginn so rhethorisch brillant aufgreift. Die Nazis mit dem Kino besiegen, das war – wenn man es denn so nennen will – Tarantinos „Idee“. Aber wer hat da wen besiegt?