Aus einem Hauseingang huscht eine verhüllte Gestalt auf die belebten Londoner Straßen. Wieder einer dieser islamischen Frauen, deren Gewänder so fremd wirken, wie sie sich in Mitteleuropa fühlen. Und wieder wird es politisch korrekt werden, galubt der Zuschauer, also wahrscheinlich gut gemeint und ein wenig langweilig. Dann folgt die Kamera der jungen Frau: Sie stillt ihren Hunger aus Müllsäcken, drückt sich scheu an Hauswänden entlang, weicht den eiligen Passanten aus, die sich im Besitz ihrer Stadt glauben, und der Film zeigt für Minuten jene Einsamkeit, die nur ein fremder Mensch in einer fremden Umgebung haben kann. Waris Dirie - von der hatte man schon gelesen, vom Top-Modell das aus der Wüste kam und in der UNO sprach - aber jene Waris zu spüren, die rat- und orientierungslos in der Hauptstadt des Geldes herumirrt, das vermag nur dieser Film zu leisten: "Wüstenblume"
Nur schwer kann man sich einen kitschigeren Film-Titel vorstellen als ausgerechnet "Wüstenblume" und vielleicht deshalb wehrt man sich so gut man kann gegen den Sog, den die Regisseurin Sherry Hormann aufbaut, doch spätestens wenn man das erste Lächeln von Liya Kebede aufscheinen sieht, die im Film der Waris Dirie ihre Aura leiht, lässt man die Gedanken über den Sog oder den Kitsch fallen und ergibt sich den Bildern, die von einem schweren, schönen Leben erzählen und vom doppelten Unrecht, das vielen Frauen Afrikas widerfahren ist und noch widerfährt, dem Unrecht der Armut, gepaart mit Unwissenheit, das besonders den Frauen ein Recht auf ein selbstbestimmtes, unversehrtes Leben nimmt.
Die wirkliche Waris Dirie, deren Leben der Film erzählt, ist schön. Schön ist auch die Schauspielerin, die sie darstellt. Beide waren Modells, jene Kleiderständer mit Füßen, die ganz Fläche sind, Oberfläche. Aber diese Liya Kebede strahlt von innen, da muss unter der Oberfläche vieles mehr sein, sie verkörpert das tapfere Leben der Waris Dirie: Als Hirtenmädchen geboren, als Putzsklavin in einer Botschaft gehalten, als Stern am Modehimmel aufgegangen, als Botschafterin afrikanischer Frauen mit beiden Beinen auf der Erde politischer Auseinandersetzung gelandet. Dieses Lebensdrama wird von Liya Kebede mehr gehaucht als gespielt, eher gelebt als dargestellt.
Die Schauspielerin Sally Hawkins kann man kaum schön nennen. Sie gibt gerne die Rampensau, die Ulk-Nudel: Kann ich nicht noch einen Lacher erzeugen? scheint ihre ständige Frage zu sein. Sally Hawkins trift im Film - als Marylin die Verkäuferin, Marylin die ständig scheiternde Tänzerin - auf Waris Dirie. Und das Groteske wandelt sich in das Empfindsame und wieder zurück, um aus den beiden Frauen Schwestern zu machen, um dem Film eine außerordentliche Dimension der Solidarität zu geben: Die verdrehte Marylin nimmt die hilflose Waris auf. Man muss Marylins Gesicht sehen, wenn Waris langsam, widerstrebend den Rock hebt, um der Freundin die Narben ihrer Beschneidung zu zeigen, das unverstellte, zugeneigte Mitleiden, aus einer realen Biographie in die wirkliche Kunst transportiert.
Lachen und Weinen macht der Film, scheint scheinbar mühelos auf dem Klavier der Zuschauergefühle zu spielen und ist auf allen Positionen so gut besetzt, dass man wissen darf: Hier agieren ausgezeichnete Schauspieler, die von einer sehr guten Regisseurin, die auch das Drehbuch verantwortet, hervorragend geführt sind. Welche Leichtfüssigkeit der dicke Timothy Spall, der den mächtigen Modefotografen Donaldson spielt, entwickeln kann, wenn der auf die Einfalt und Zurückhaltung der frühen Waris trifft. Man darf die zickige Modeagentin Lucinda, dargestellt von Juliet Stevenson, getrost für eine Karikatur halten, daran erinnernd, dass die Welt voller lebender Karikaturen ist. Und außerdem verschafft sie dem Zuschauer jene aufseufzenden Lacher, die ihm während des ständigen Mitfühlens kleine Atempausen schenken. Nicht zuletzt bringt uns Craig Parkinson, der als schillerndes Schlitzohr das ganze Männer-Repertoire spielt - vom Sabbern über die Hilfsbereitschaft bis zum kläglichen Betteln um Sex - eine dichte Vorstellung vom Schein-Ehemann der Waris.
Der Film hat, darin dem wirklichen Leben der Waris Dirie gleich, ein Happy End. Ein glückliches Ende ist für Millionen afrikanischer Frauen nicht abzusehen. Die eindrucksvolle Arbeit von Sherry Hormann wird ein Beitrag sein, die Debatte um das tägliche Unrecht in und an Afrika lebendig zu halten. Und "Wüstenblume" ist nichts anderes, als die Übersetzung des Namens "Waris" aus dem Somalischen. Das ist die Sprache jener Gegend, vor deren Küste sich die Bundeswehr zur Zeit als Piratenjäger aufspielt. Viel Geld wird in die militärische Bekämpfung der Folgen von Armut gesteckt. Als wäre das Geld nicht besser in der Abwehr von Armut, der Hilfe angelegt. Aber Unwissen aus Herrschaft und Verblendung ist eben nicht nur in Afrika zu Hause.
Ab dem 24. 9. im Kino