Die Truppen sind dazu da, in den Tod zu gehen.
Napoleon auf St. Helena bei Betrachtung der Schlachten Friedrichs II.
Wenn wir siegen, geben wir Ostpreußen dem Slawentum, dem es schließlich gehört, zurück. Wir werden es mit Slawen besiedeln.
Stalin in der Nacht vom 8. zum 9. 9. 1941 im Luftschutzbunker
Große Männer gibt’s genug. Und warum in die Ferne schweifen, wenn das Jubiläum in der Heimat lockt.
Das problematische Geburtstagskind hat viele Namen. Historisch-genealogisch korrekt handelt es sich um Friedrich II. von Preußen. Begeisterte Zeitgenossen nannten ihn erst Friedrich den Einzigen, später den Alten Fritz. Für die folgenden Generationen war er Friedrich der Große und Fridericus Rex. Er selbst unterschrieb Federic oder einfach F. Seine Grenadiere und die Berliner Gassenjungen riefen ihn Fritze. Weil wir heute alle Tradition verabscheuen, will ich mich mit unseren objektiven LeserInnen auf das Kürzel F2 (lies: Großeffzwei, sprich: Friedrich der Zweite) einigen, das Großeff nur darum, um einer Verwechslung mit dem Schachbrettfeld f2 vorzubeugen.
F2 war zuletzt etwas vernachlässigt worden, aber sein bevorstehender 300. Geburtstag dürfte ein großes Jubiläumswettschreiben ausgelöst haben. Jens Bisky, Kolumnist der Süddeutschen Zeitung, marschiert vorneweg. Er zeigt uns den König ganz neu, in unaufregender, fast ein wenig langweiliger Weise. Denn wie anders sollte man ihn mit Konrad Adenauer, dem anerkannt allergrößten Deutschen, vergleichbar machen? Entschlackt von fossilem Anekdotenkram präsentiert uns Bisky endlich den echten und zeitgemäßen F2.
Entstanden ist ein Geschichtsbuch mit dem ironischen Titel „Unser König“, das heterogene Berichte ausschreibt, die bisweilen auf entlegenen Originalquellen fußen. Der ernst gemeinte Untertitel lautet „Friedrich der Große und seine Zeit – ein Lesebuch“.
F2 zerfällt üblicherweise in vier Teile: der Kronprinz, der junge König, der Siebenjährige Krieg, der Alte Fritz. Auch Bisky folgt dem Schema. Er nennt es Jugend, Glanz, Krieg, Alter, und setzt jedem Abschnitt eine Zeittafel voran, durchaus hilfreich in einer Zeit, die kaum noch Geschichtsdaten memoriert. Und er kommentiert ausgiebig, denn ganz ohne Bisky geht die Schose nicht. Gut ein Drittel des Buches ist Biskys Zutat, wenn man zu den Einführungen in die jeweiligen Geschichtsperioden die erläuternden Vorspänne der abgedruckten Quellen rechnet. Der reichliche Rest stammt aus Briefen und Memoiren oder ist klassische Friedrichliteratur. Wenn einer Fontane abschreibt, kann er nicht viel falsch machen.
F2, der wohl mehr Geschriebenes hinterlassen hat als irgendein anderer Deutscher, kommt anders als in früheren Friedrich-Lesebüchern herzlich wenig zu Wort.
Mit den Zeiten wandeln sich die Ideale. Man muss F2 mögen, aber nicht zu sehr. Bisky macht das sehr geschickt. Und so opfert er das Preußentum des Königs dem Geschmack der Spaßgesellschaft. Das ist nicht weiter tragisch, denn abgesehen von den nackten Realien, derer wir uns oft genug nicht sicher sind, vermittelt Geschichtsbetrachtung ohnehin nur Standpunkte, keine Wahrheiten. Allerdings wird dadurch die Lebensleistung des Königs ein wenig geschmälert.
Bei der Bewertung der Taten des Königs ist dem Jubiläumsschreiber ein Lapsus unterlaufen. Wenn F2 in den Krieg zieht, nennt Bisky das „ein Verbrechen“. Er bringt hier die Berufsgruppen König und Präsident durcheinander. Ein König ist erwählt als der Nachkomme eines Königs. Er lässt Dörfer anzünden und Städte beschießen, um sich die Trümmer anzueignen. Denn das ist seine ererbte Berufung. Und F2 hat als König einen Bombenjob gemacht.
Ein Präsident hingegen ist irgendwie vom Volk gewählt (und/oder Sohn eines Präsidenten). Er muss für die Menschenrechte einstehen, die zu Friedrichs Zeiten gerade erst erfunden wurden. Ein Präsident lässt Dörfer einebnen und Städte kontrolliert bombardieren, um dort die Demokratie einzuführen, eine von den alten Griechen erfundene Form der Misswirtschaft. Der historische Fortschritt ist greifbar.
Manches Bemerkenswerte kommt in Biskys Buch etwas zu kurz. So brilliert F2 in mehreren Künsten. Er spielt im Konzert virtuos die Flöte, bis ihn der Verlust der Schneidezähne dieses Vergnügens beraubt. Er komponiert, unter anderem einen Marsch, den späteren Marchia real – die spanische Nationalhymne. Er dichtet und schreibt französisch im Geist des Rokoko, pflegt eine umfangreiche Korrespondenz mit führenden Aufklärern seiner Zeit, darunter Voltaire und d’Alembert, und ist Historiograf des Hauses Brandenburg.
Endlich unterschlägt Bisky Friedrichs ausgelebte Homosexualität – für ihn ist der König seit 1740 asexuell. Nicht nur Voltaire hat es besser gewusst.
Die friderizianischen Justizreformen erläutert Bisky durchaus instruktiv. Leider fehlt der Brief des Königs an Voltaire vom 11. Oktober 1777, in dem es heißt: Die Tortur haben wir ganz abgeschafft, sie findet schon seit mehr als 30 Jahren nicht mehr statt. In republikanischen Staaten muss man vielleicht bei Hochverrat eine Ausnahme machen.
Der despotische Eingriff des Königs in den „Müller Arnoldschen Prozess“ wird falsch bewertet. Der Gutsherr, der dem Müller das Wasser abgrub, war formal im Recht, die Gerechtigkeit, die F2 gegen die Justiz durchsetzte, galt dem Müller. Eine Wassermühle ohne Wasser funktioniert wie eine Eurozone ohne Kredite.
Ich verweise unsere LeserInnen hierzu auf Christian Graf von Krockows überaus lesenswertes Buch „Friedrich der Große Ein Lebensbild“, das 1986 zum 200.Todestag des Königs entstand. Damals wurde übrigens das Reiterstandbild Friedrichs von Christian Daniel Rauch wieder Unter den Linden aufgestellt und alsbald machte in Ostberlin der Vers die Runde:
Großer Friedrich, steig hernieder
und regiere Preußen wieder!
Lass in diesen schweren Zeiten
lieber unsern Erich reiten.
F2 war bekanntermaßen irreligiös. Bisky geht in wenigen Sätzen diskret darüber hinweg. Der skeptische König spricht zu Catt: Mein Gebet lautet: O Gott, wenn es dich gibt, erbarme dich meiner Seele, wenn ich eine habe.
Obwohl als preußischer König in Personalunion Kirchenfürst seiner evangelischen Untertanen, hat F2 die Institution Kirche nie gemocht und ihre Repräsentanten gern vorgeführt. Seine entzückenden Blasphemien sucht man in Biskys Buch vergeblich. Joseph Ratzinger und Margot Käsmann mag’s freuen, unsere aufgeklärten LeserInnen weniger. Ein kerniges Beispiel soll genügen.
Ein Bauer wird von seinem Pastor der Liebschaft mit einer Eselin beschuldigt und vom Gericht verurteilt. Damals stand in Preußen auf Sodomie die Todesstrafe. Aber der König musste alle Todesurteile bestätigen. F2 setzt unter das Urteil: In meinem Staat gewähre ich jedem Gewissens- und Fickfreiheit!
In seiner Wirtschaftspolitik befolgt F2 die Lehren der damals modernen französischen Physiokraten. Bisky hat zu Recht manches daran auszusetzen.
Der ökonomische Sachverstand des Königs zeigt sich besonders in dem, was er unterlässt. Als F2 in Preußen regiert, haben auch dort wie zu allen Zeiten Banken falliert, aber er denkt nicht im Traum daran, sie zu stützen. Wenn ihm jemand nahe gelegt hätte, ein Vielfaches des Staatsschatzes an so windige Unternehmungen zu verschleudern, würde er denjenigen ins Irrenhaus oder nach Spandau geschickt haben. Als der Berliner Unternehmer Gotzkowsky Pleite macht, kauft F2 dessen Porzellanmanufaktur, die später berühmte Marke KPM, zu einem fairen Preis. Das war’s dann auch.
1765 dichtet F2 „Ein Kapitel gegen die werten Herren Blutsauger“:
O dieses gräßliche Gesindel,
Das Börsenspekulanten heißt!
Spitzbuben mit dem Diebwerksbündel,
Auswurf von eklem Höllengeist!
Es überkommt uns schon ein Schwindel,
Wenn man auf ihre Namen weist.
Falls dem seligen König auf dem Parnass Biskys Lesebuch in die Hände fällt, dürfte er es mit einer seiner unnachahmlichen Marginalien verzieren, ähnlich dieser: man Mus Ihm Schreiben Ein portret könte ich ihm leicht Schiken aber ob es gleichen Würde da Stände ich nicht vohr.
Eine letzte Friedrichanekdote haben sich unsere eifrigen LeserInnen redlich verdient. „Friederisiko“ nennt sich kein neuer Bundesschatzbrief. „Friederisiko“ ist vielmehr der von einer Werbeagentur kreierte Kalauer, den die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten zum Motto für das Friedrichjahr 2012 erhoben hat. Bereits im Juni 2010 hat kein Geringerer als der damalige Verteidigungsminister zu Guttenberg den 23 Meter langen Schriftzug aus Stahl vor dem Schloss Charlottenburg enthüllt. Der alerte Minister befand in seiner Ansprache: „Friedrich der Große war eine schillernde Persönlichkeit.“