Kurz was zu Köln, Jakob Augstein
Die Bundeskanzlerin ist vor allem deshalb so beliebt, weil sie so wenig redet. Wenn sie den Mund aufmacht, muss es wichtig sein. Nun teilte ihr Sprecher mit, dass die Bundeskanzlerin in Köln angerufen habe, um mit der Oberbürgermeisterin zu reden: „Die Bundeskanzlerin drückte ihre Empörung über diese widerwärtigen Übergriffe und sexuellen Attacken aus, die nach einer harten Antwort des Rechtsstaats verlangen.“
Normalerweise fällt die Ahndung von Straftaten nicht in den Bereich der Bundeskanzlerin. Minderschwerer Straftaten schon gar nicht. Darum handelt es sich in Köln vermutlich nämlich ganz überwiegend. Hier ist aber nichts mehr normal. Mittlerweile geht es schneller, die deutschen Politiker zu zählen, die sich noch nicht zu „Köln“ geäußert haben.
Und wie sie sich geäußert haben! Cem Özdemir nannte das, was sich auf dem Domplatz in jener Nacht abgespielt hat „grässlich“. Das klang so, als seien dort Frauen verspeist, nicht beraubt und sexuell bedrängt worden. Der Justizminister der Bundesrepublik Deutschland sprach von einer „völlig neuen Dimension organisierter Kriminalität“, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin von einer „Ungeheuerlichkeit“ und Berlins Innensenator sah „kriminelle Sexbanden“ am Werk.
In Wahrheit war die Nacht von Köln einfach das kolossale Versagen der lokalen Polizei. Das ist ein Fall für den Kölner Stadtrat, vielleicht für den Landtag des Landes Nordrhein Westfalen. Es ist sicher kein Fall für die Bundeskanzlerin. Dass es dazu werden konnte, zeugt von einer tiefen Verunsicherung. Die Politiker haben Angst vor ihrem Volk. Sie trauen den Deutschen nicht über den Weg. Willkommenskultur hin oder her – ein paar grapschende Ausländer und schon reißt der Firnis der Zivilisation.
Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sah sich zur der Klarstellung genötigt: „Es gibt keinen Bonus für Nationalität oder Aufenthaltsstatus.“ Und die „Welt“ schrieb: „Trotz aller Empörung – auch in Köln gilt der Rechtsstaat“ Offenbar versteht sich das eine in Deutschland so wenig von selbst wie das andere.
Sind wir so empfindlich? Nein. Wir sind so rassistisch. Jede wollte sofort daran glauben, dass in Köln „1000 Nordafrikaner“ ihr Unwesen getrieben haben. Tausend, das ist eine Märchenzahl. So wie die drei goldenen Haare des Teufels. Oder die sieben Zwerge. Oder die dreizehnte. Fee.
Tausend Tunesier, die „unsere“ Frauen anfallen – das fehlte gerade noch. Der Fremde und seine bedrohliche Sexualität – das ist das älteste Vorurteil des Rassismus. Und gerade der Orient war seit jeher der Ort für eigene sexuelle Projektionen. Schleier und Tänze, Harem und Badehaus – und natürlich die Vielehe – versprachen eine andere Sexualität, freier, mit weniger Schuld. Der triebhafte Araber ist ebenso eine Erfindung des Westens wie der schamlos-lüsterne Jude.
Aber wer in der Ära des Flashmob solche Überlegungen anstellt, macht sich gleich der Verharmlosung verdächtig.