Nicht selten begegnet er uns als krimineller Politclown: Silvio Berlusconi, der Ministerpräsident Italiens. Mehrfach geliftet, die Haut straff hinter den Ohren festgetackert, erscheint er dem Boulevard eher als einer, der zwielichtige Partys gibt, dumme Sprüche macht und sein Amt wesentlich dazu nutzt, sich vor der Justiz in Sicherheit zu bringen, die ihn zu gerne wegen Bilanzfälschung und Korruption belangen würde. Dass sich hinter der Maske des Gauklers und des Lebemannes ein knallharter, rechter Politiker verbirgt, in dessen Amtszeiten eine Verharmlosung des italienischen Faschismus bis hin zur "Rehabilitierung" Mussolinis möglich und gewünscht ist, analysiert das Buch "Viva Mussolini" des Schweizer Historikers Aram Mattioli: "Heute sind Faschismusapologie und 'Duce'-Bewunderung in der Mitte der (italienischen) Gesellschaft angekommen".
Italien ist das einzige Land auf der Welt, das am 9. November des Falls der Berliner Mauer gedenkt. Das dazu notwendige Gesetz wurde im Jahr 2005, mit den Stimmen der Mitte-Rechts-Mehrheit als "Tag der Freiheit" vom Parlament gebilligt. Seine offizielle Begründung findet dieses skurrile Gedenken in einem Kampf gegen ein Gespenst: Gegen den "kommunistischen Totalitarismus", den längst verstorbenen realen Sozialismus und die gleichfalls ziemlich verblichene kommunistische Partei Italiens. Doch hinter dem antikommunistischen Donner verbirgt sich, stellt Mattioli fest, der Blitz, der den Nationalfeiertag treffen soll, den 25. April, den Tag an dem sich 1945 die Italiener von den eigenen und den deutschen Nazis befreit hatten. Jenen Feiertag, der zum antifaschistischen Grundkonsens der italienischen Republik gehört, zu einem Staatsverständnis, das den Beginn Nachkriegsitaliens aus dem Kampf gegen den Faschismus, gegen Benito Mussolini erzählt und manifestiert.
Lange Jahre war es in Italien undenkbar, dass neu- oder altfaschistische Gruppierungen als Koalitionspartner konservativer Parteien, wie der Democrazia Cristiana, infrage gekommen wären. Mit dem Start des rechten Demagogen Berlusconi sollte sich das ändern: Die postfaschistische Partei "Alleanza Nazionale" wurde zum Bündnispartner Berlusconis, die rassistische "Lega Nord" hat ein warmes Plätzchen in seiner Regierung und selbstverständlich paktiert er auch mit der 'Duce'-Enkelin Alessandra Mussolini, die ihren Opa verherrlicht und von sich sagt: "Besser Faschistin als schwul". Mit akribischer Sorgfalt trägt der Historiker Mattioli die kalkulierten Tabubrüche Berlusconis zusammen und vergleicht Italien mit anderen europäischen Ländern: "Schlicht undenkbar" sei es, dass sich in der Bundesrepublik ein christdemokratischer Regierungschef mit der NPD einlassen würde.
Begonnen habe die Wandlung der antifaschistischen Republik zur anti-antifaschistischen Republik mit der Geheimloge P2, der in den 70er Jahren auch der Unternehmer Berlusconi angehörte und an deren Spitze der "notorische Faschist und ehemalige SS-Mann Licio Gelli stand." Zwar wurde die P2 1982 als umstürzlerische Organisation verboten, aber kaum 25 Jahre später durfte der selbe Gelli auf "Odeon TV" in einer eigenen Fernsehsendung die Mussolini-Diktatur verherrlichen und, im selben Atemzug, dem Berlusconi "die Härte des grossen Mannes" attestieren, der als einziger italienischer Politiker das Land voranbringen könne. Natürlich distanzierte sich Berlusconi nicht von seinem faschistischen Fan und seine Regierung verbot die Sendung auch nicht, obwohl die italienischen Gesetze ihr die Möglichkeit geboten hätten.
Der italienische Alltag, stellt Mattioli fest, kennt eine Revitalisierung des Faschismus meist im Gewand der Verharmlosung: Mussolinis Regime sei viel milder gewesen als das der deutschen Nazis, Home Storys über den Diktator als liebenden Vater und Gatten liefen zu besten Sendezeiten im Fernsehen. Berlusconi erklärt den Fachismus zur "sanftmütigen Diktatur". Und wenn die Tourismusministerin der aktuellen italienischen Regierung bei einer Carabinieri-Veranstaltung die Hand zum "römischen Gruß" gen Himmel reckt, wird sie natürlich nicht entlassen obwohl es sich dabei um einen Straftatbestand handelt. Dass die "sanftmütige Diktatur" für Massaker in Äthiopien und Lybien verantwortlich war, dass ihre Truppen im Spanischen Bürgerkrieg gewütet hatten und ihre "Rassegesetze" zur Deportation und Ermordung der italienischen Juden führten: Geschenkt. Die Zeit, so erklärte Berlusconi, sei reif für eine "definitive nationale Versöhnung".
Mit dem "Verlust" von ehemals Jugoslawischen Gebieten, in denen italienische Minderheiten lebten und die Mussolini im zweiten Weltkrieg besetzen ließ, mag sich eine postfaschistische Öffentlichkeit in Italien nicht versöhnen: Unter Verdrängung der Kriegsverbrechen der italienischen Armee bei der Besetzung des südlichen Sloweniens, des Kosovo und der dalmatinischen Küste, wird heute die Tätergeschichte in ein Opferdrama umgewandelt: Rund 300 000 Italiener mussten nach dem Krieg Jugoslawien verlassen, einige Tausend Italiener wurden von der Partisanenarmee Titos umgebracht. Neben faschistischen Funktionsträgern traf es auch Unschuldige. Seit 2005 gibt es einen nationalen Gedenktag für die italienischen Opfer, das staatliche Fernsehen strahlte einen Zweiteiler aus, der die jugoslawischen Partisanen "als slawokommunistische Bösewichter und die Italiener als bedauernswerte Opfer ins Szene setzt" und den "guten Faschisten" als Retter der italienischen Waisen präsentiert, die Verbrechen der Italiener bleiben ausgeblendet. Ähnlichkeiten mit der Politik der deutschen Vertriebenen-Verbände sind nicht zufällig.
Natürlich gehört zur neueren Geschichtsschreibung der vorgebliche rote, kommunistische Terror der italienischen Partisanen gegen die "braven Jungs" von Salo, jenes perversen faschistischen Reststaates im Norden Italiens, der damals, nach kaum zwei Jahren Existenz, von US-Truppen und Partisanen zerschlagen wurde. Dass sich Berlusconi in seiner Eroberung Italiens des antikommunistischen Reflex bedient, versteht sich: Wer ihm im Weg steht gilt als Kommunist, ob es der katholische Romano Prodi ist, die italienischen Richter sind, die ihn zu gern vor Gericht sähen oder beliebige andere Gegner seiner Politik. Ein alter Trick, der bei uns aus der Stasi-Debatte oder dem angeblich verderblichen, weil "verordneten" Antifaschismus in der DDR bekannt ist. Aram Mattiolis Buch wird den Leser bereichern und erschrecken: Bereichern wegen seiner Fülle an Informationen und erschrecken wegen der Schlüsse, die daraus zu ziehen sind. Längst ist ein Eingreifen der Europäischen Gemeinschaft in Italien überfällig. Denn neben dem drohenden Staatsbankrott wird ein Bankrott der Demokratie sichtbar, der den anderen europäische Staaten, so hofft Mattioli, nicht gleichgültig sein dürfte.