"Da haben Sie ja ganz schön dran zu knabbern", sagte mein Bäcker, als ich ihn bat, Navid Kermanis Buch "Dein Name" auf die Mehlwaage zu legen. Rund 1,3 Kilo wiegt das zwölfhundertseitige Werk des deutsch-iranischen Schriftstellers, der im südwestfälischen Siegen geboren wurde und dort in einer respektablen iranischen Familie aufwuchs. Längst gehört der Orientalist zum lieb gewordenen Inventar einer aufgeklärten Bundesrepublik, die ihn gern, wie er im Buch häufig aufseufzend vermerkt, als "den" Vertreter "des" Islam von Podien zu Talk-Showsh und zurück hetzt, was ihm zwar ein auskömmliches Einkommen, aber auch ein unstetes Leben beschert. Kermani nennt sein Werk einen Roman. Was zu untersuchen wäre.
Zwei Schreibstränge ziehen sich durch Kermanis Arbeit. Zum einen sind es um die 20 bebilderte Todesanzeigen, Miniaturen über verstorbene Menschen, die dem Schriftsteller in dessen Leben von Bedeutung waren und denen er kleine Denkmale setzt. Der Reigen der Toten beginnt mit einem ungarischen Lyriker und endet mit einem Professor aus Isfahan, der zur ersten Generation iranischer Auslandsstudenten gehörte und poetisiert so die kulturelle Spannung zwischen der vorderasiatischen, iranischen Kultur und der europäischen. In dieser poetischen Untersuchung wird die Verflechtung der Kulturen beschrieben, nicht etwa wie man Körbe beschreibt, in denen Kulturgut transportiert werden könnte, vielmehr wie geflochtene Seile, die man mal in diese und mal in jene Richtung ziehen kann, und die eher Verbindungen sind denn Bindungen.
Der zweite bedeutende Schreibstrang ist die "Selberlebensbeschreibungen" des Autoren-Großvaters. Dessen Erinnerungen sind nur scheinbar private Aufzeichnungen. Sie reichen tief in die Geschichte des Iran und sie wissen von der Modernisierung in den Zwanziger Jahren, die unter dem ersten Pahlevi-Shah die traditionelle Kleidung und das Kopftuch verboten hatte und von der demokratischen Revolution mit Mohammad Mossadegh, der das iranische Öl nationalisieren wollte und letztlich an der CIA gescheitert ist. Manchmal wirken diese Aufzeichnungen wie ein Stück aus "Tausendundeine Nacht", so, wenn der Großvater dem verehrten Mossadegh einen Stock mitbringt, den er von einem Derwisch als Geschenk für den iranischen Premierminister erhalten hat und der dem religiösen Bettelmönch daraufhin einen wärmenden Wintermantel kauft.
Neben den Beschreibungen des Großvaters und der Würdigung der Toten, entwickelt sich im Buch das Leben des Navid Kermani, der seine Leser mit Uhrzeitvergleichen auf den Displays von Laptop und Handy aufhält, der mal als "Romanschreiber", mal als Kermani auftritt, dem die Fotogeilheit des französischen Ministerpräsidenten ebenso wichtig erscheint wie sein Erlebnis als Erzähler, der von seiner Beinah-Verhaftung als Sittenstrolch im heutigen Iran berichtet, weil er in kurzen Hosen joggte. Auch wenn ihm immer wieder kluge Einsichten gelingen, wenn Kermani sich liebevoll und kenntnisreich mit Hölderlin und Jean Paul auseinandersetzt und das Buch als wohlformulierte Brücke zwischen den Kulturen gelten darf, ist es doch kein Roman. Eher ein sehr langes, kaum langweiliges Feuilleton, das viel zum Knabbern bietet, durchaus sättigt, aber selten lecker ist. Doch wer bin ich, so viel beherzte Arbeit auf eine unbarmherzige Goldwaage legen zu wollen?