Es sind die Augen alter Männer, die Dich anschauen: Manche blicken trotzig aus dem Bild, andere resigniert. Fast immer ist zu erkennen, dass sie unter schlechten Lebensverhältnissen ihren Kopf hoch halten. Die alten Männer waren sowjetische Kriegsgefangene in Deutschland. Ihre Fotos und Texte hängen in der Ausstellung "Russenlager und Zwangsarbeit", die noch bis zum 20. Juli im Foyer der Berliner Humboldt-Universität zu sehen ist. "Ich kam sofort in ein Todeslager, das Lager Nr. 315 nahe der Stadt Hammerstein in Pommern. Dieses Lager hat fast alle umgebracht. Erst waren dort 20. 000 Gefangene. Anfang März 1942 waren wir noch 200", so wird Sergej Poltawtschenko in der Ausstellung zitiert, die den mehr als fünf Millionen sowjetischer Kriegsgefangener in Deutschland ein kleines, temporäres Denkmal setzen soll. Das erste seiner Art im Land der Untermenschen-Vernichter, im Land der Kinder und Enkel jener, die vor 70 Jahren die Sowjetunion überfielen.
Von den 5,8 Millionen Gefangenen sind nur 2,5 Millionen wieder in ihre Heimat zurückgekehrt: Hunger, willkürliche Erschießungen und Seuchen wegen unerträglicher hygienischer Verhältnisse, vernichteten die Mehrheit der zumeist jungen Männer in wenigen Jahren. Überall in Deutschland gibt es Gräber dieser Soldaten ohne Namen. Und häufig genug wurden sie damals täglich wie Vieh von ihren Lägern in Fabriken getrieben, um die deutsche Kriegsproduktion in Gang zu halten. Es gab 1975, als die deutsche Kriegsgeneration noch lebte, im Westen Deutschlands Befragungen an den Wegstrecken der Gefangenen zu den Produktionsstätten: So gut wie niemand hatte die ausgemergelten Gestalten gesehen. Sie waren offenkundig unsichtbar, wie sie bis heute unsichtbar sind, wenn es um das Erinnern an sie und um Wiedergutmachung geht: Das reiche Land der Erben des Hitlerkrieges gibt den wenigen alten Soldaten, die heute noch leben, nichts. Kein Cent scheint übrig, der dem unverschuldeten Grauen eine Anerkennung von deutscher Schuld gäbe.
Wer im Westen Deutschlands aufgewachsen ist, der wird sich nur an das Leid der deutschen Soldaten in russischer Kriegsgefangenschaft erinnern: Väter und Großväter wussten gut von ihren Schicksalen zu erzählen. Dass man sie nicht in die Sowjetunion eingeladen hatte, dass wussten sie anscheinend nicht. Billige, bunte Landserhefte schrieben die populäre Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen: Kälte und Hunger, brutale russische Offiziere und heldische deutsche Soldaten bestimmten das Bild. Die Umschreibung deutscher Geschichte - vom räuberischen Überfall zum Opfergang - geriet mit diesen Hetzheftchen nahezu perfekt. Begonnen hatte die verlogene Erzählung mit der "Heimkehr der Zehntausend", als Konrad Adenauer über die letzten deutschen Gefangenen in der Sowjetunion erfolgreich verhandelt hatte. Sie wurden bei ihrer Heimkehr bejubelt. Dass nicht wenige von ihnen Kriegsverbrecher waren - unter ihnen der SS-Standartenführer Panziger, der sowjetische Kriegsgefangene ermordet hatte - wollte in der Bundesrepublik wirklich keiner wissen.
Zu den Opfer-Legenden gehören unbedingt zwei Zahlen: Während von den sowjetischen Kriegsgefangen nicht einmal die Hälfte überlebte, konnten aus der weitgehend zerstörten, hungernden Sowjetunion immerhin zwei Drittel der deutschen Soldaten wieder nach Hause kommen. Auf der Ausstellungseröffnung sprach ein ehemaliger Sowjetsoldat ein Wort gelassen aus: Er verzeihe heute den Deutschen, obwohl er das lange nicht gekonnt habe. Mit der Bitte um Verzeihung sucht und findet der Initiator der Ausstellung, der Verein "Kontakte", seit Jahren Kriegsgefangene in den Ländern der ehemalige Sowjetunion. Was der deutsche Staat sich nicht leistet, leisten der Verein und private Spender, die den alten Männern ein wenig Geld überbringen. Und was vielleicht noch wichtiger ist: Der Verein veröffentlicht laufend Briefe der ehemaligen Gefangenen, mit denen sie, so gut sie können, über ihre Schicksale berichten. Unter www.freitagsbriefe. de sind sie zu lesen. Vielleicht werden die letzten noch lebenden Kriegsgefangenen so ein wenig sichtbar.