Kann das ein schöner Land sein, das uns Wolfgang Engler verheißt, ein Land, in dem keiner mehr arbeiten muss sondern darf, ein Land, in dem jeder Mensch ein Grundeinkommen erhält, nicht Almosen von Hartz, von dem er angemessen und in Würde leben kann. Engler versteht diese neue, von ihm eingeforderte Lebensform als Grundlage von Freiheit, deshalb nennt er auch sein neues Buch so: "Unerhörte Freiheit" und vermittelt die Hoffnung, dass mit dem Ende des Arbeitszwangs die Stellung der Arbeitenden eher gestärkt werden wird. Der Teil Arbeitsfähiger, der, zeitweilig oder immer nicht arbeiten will, verknappe Arbeit. Und alles, was knapp ist, steigt im Wert, schreibt Engler und fordert "gute Arbeit", was nicht nur die Entlohnung meint, sondern auch die Qualität der Jobs, die man annehmen kann aber nicht mehr muss.

Dankbar quittiert der Leser, dass Engler die Arbeit des Moralmantels entkleidet. Angesichts der Millionen, die auf der Suche nach Arbeit sind, hält er sich mit der Faulenzer-Debatte kaum auf. Eher sind ihm die bereits jetzt gezahlten hohen Transferleistungen aus der Ökonomie in den Sozialsektor Beweis, dass ein Grundeinkommen und Wahlfreiheit möglich sind. Auch lässt er keine Diskussion über die Kosten aufkommen und Recht hat er: Ein System, das in den entwickelten Ländern Milliarden-Profite auswirft, das mit einem Drittel der bisher Beschäftigten das Doppelte produzieren kann, das wird an einem Grundeinkommen für einen großen Teil der Bevölkerung nicht pleite gehen. Einer konkreten Aussage zur Höhe des von ihm gewünschten, von der Arbeit unabhängigen Einkommens, verweigert sich der Soziologe ebenfalls: Es geht ihm nicht um Mindestlöhne, sondern um eine Höchstforderung, die Wahlfreiheit zu arbeiten oder eben nicht zu arbeiten.

Um dem Autor näher zu treten, will sein Arbeitsbegriff untersucht werden. Er sieht den "beklagenswerten Stand der Arbeitsleute", schreibt spöttisch von "Arbeitsaposteln" und glaubt die Arbeit alter Art, so wie sie in den Anfängen der Industrialisierung, in den Zeiten der Vollbeschäftigung beschaffen war, als ein "stahlhartes Gehäuse sozialer Hörigkeit". Wann immer er über "gute Arbeit" redet, über "attraktive Beschäftigungsverhältnisse", hätte man gern gewusst, was das sein könnte. Denn anders als bei der Frage nach der Höhe des Grundeinkommens, die wenig Aufschlüsse über die Perspektive von Arbeit gibt, wäre es erhellend, wenn Engler, die Beschaffenheit der Arbeit beschreiben würde, auf die Teile der Beschäftigten verzichten könnten und sollten, wenn wir seinem Modell folgten.

Ist es gute (gern und freiwillig übernommene) Arbeit, wenn einer seinen Garten pflegt? Und ist es schlechte (ungern und unfreiwillig übernommene) Arbeit, wenn derselbe die gleiche Leistung in einem öffentlichen Park erledigt? Wer Rentner mit durchaus guter Pension nach dem Ende angestellter Beschäftigung beobachtet und ihre psychischen Veränderungen wahrnimmt, wer Arbeiter im fortgeschrittenen Alter mit guten Abfindungen ihre letzten Jahre in den Kneipen hat verbringen sehen, der weiß, dass ihre "Grundeinkommen" ihnen keinen Lebens-Sinn sichern konnten. Der Arbeit durchaus innewohnende Zwang, etwas gemeinsam zu tun, Beziehungen von Wert zur Schöpfung von Werten aufzunehmen, liegt in der Menschwerdung begründet. Erst mit der Arbeit gewann der Primat die neue uns bekannte ambivalente Qualität. Das Reich der Freiheit, wird Engler mit Marx entgegenhalten, begänne aber erst, wenn das Arbeiten aus Not aufhöre und die ersten Schritte der Menschheit seien solche des Notstandes gewesen, diese Zeit sei nun vorbei.

Das Ende von Arbeit als Notwendigkeit ist nicht abzusehen. Trotz aller Automatisierung, trotz immenser Rationalisierung bleibt ein Kern von Arbeit: In der Bildung, der Pflege, der Beaufsichtigung von Maschinen, in der Entwicklung von Kultur und Gesellschaft, überall dort wird menschliche Arbeit nicht verschwinden können. Wenn also ein bestimmtes Quantum von Arbeit notwendig bleibt, wenn darüber hinaus Arbeit als genuines Bindeglied der Menschen gelten darf, dann kann es kein umfassendes Recht auf Nichtarbeit geben, das Engler einklagt, auch wenn er davon ausgeht, dass nicht alle ständig davon Gebrauch machen. Ein Recht, das im Zweifelsfall verweigert werden muss, ist keins.

Auch wenn die "Unerhörte Freiheit" nicht zu arbeiten für eine weit vor uns liegende Zukunft gefordert wird, macht es doch Sinn, sich mit der absehbaren Wirklichkeit der nächsten dreißig oder fünfzig Jahre zu beschäftigen: Nicht auszuschließen ist, dass die Menge der gnädig vergebenen Arbeit weiter sinken, die Zahl der Arbeitslosen weiter steigen wird. Zugleich, wenn man den Ist-Stand der jetzigen Machtverteilung weiterschreiben müsste, würde die Entstaatlichung des öffentlichen Lebens, die Privatisierung von Bildung, Gesundheitsvorsorge und Information weiter fortschreiten. Schon heute wäre deshalb eine Umverteilung von Arbeit sinnvoll. Dass die Gesellschaft in öffentlichen Bereichen über jede Menge freier Stellen verfügen könnte, weiß jeder, der unsere Schulen, Krankenhäuser, öffentliche Verkehrsmittel oder Straßen kennt. Es wäre also keine Beschäftigungstherapie, keine "Vollbeschäftigungsfarce" wie sie uns Engler zitiert, wenn wir Arbeitslose dort in Arbeit brächten, sondern eine schlichte Notwendigkeit.

Auch eine andere Form der Arbeitsverteilung, die Arbeitszeitverkürzung, verfällt der Englerschen Denunziation: Arbeitshäuser sinnloser Arbeit entstünden, die Halbierung der Stellen führe nur zu Stückwerk, und wer bei bei weiter gezahltem Gehalt für ein, zwei Jahre aussteige, der sei nichts anderes als ein "Freigänger". Als wäre eine flexible Zeit-Verständigung zwischen "Forschern oder Architekten", an denen Engler die Unmöglichkeit der Arbeitszeitverkürzung demonstrieren will, nicht ebenso möglich wie eine zwischen Maschinenführern oder Krankenschwestern. Ohnehin gibt es kaum Berufe, die einer "allein" macht. Das eben, das Kollektive, Vernetzte, Soziale, das ist Arbeit. Zwei Stunden davon weniger am Tag würde sofort mehr Arbeitsplätze schaffen, würde beschwerliche Arbeiten, die es noch lange geben wird, erträglicher und die Sinnstiftung von Arbeit auch jenen wieder zugänglich machen, die, inzwischen in der dritten Generation arbeitslos, ohne den von Engler kritisierten "Zwang zur Arbeit", nur Arbeitsplätze bei der Polizei schaffen.

"Der Staat", sagt Engler, "befindet sich auf dem Rückzug" und zugleich höhnt er über die "neuen Staatsfreunde", die gestern noch überzeugte Gegner des "bürgerlichen Staates" gewesen seien. Gemeint sind solche, die in einer Situation, wo der Staatsapparat seine soziale Verantwortung zugunsten wachsender privater Gewinne aufgab, Verpflichtung von Eigentum und staatliche Arbeitsprogramme forderten. Natürlich ist der Staat ein Instrument der Herrschaft von Herrschenden und ebenso natürlich ist er, über Wahlen und die öffentliche Debatte in Maßen beeinflussbar. Deshalb meldet man an ihn Forderungen an, deshalb versucht die Mehrheit, die Kumpanei des Staates mit der Minderheit zu mildern. Einen "Rückzug" des Staates lässt sich ohnehin nur in der Wirtschaft feststellen. Eine Vermengung von Kriegs- und Außenpolitik und der vermeintliche Kampf gegen den Terror zeigen den Staat eher im Vormarsch.

Eine Gunst der Stunde habe die europäische Linke verpasst, stellt Engler fest, weil sie "den Auftrag des Freiheitskampfes von 1989" verschmäht habe. Der Staat habe doch damals halb am Boden gelegen, ein Todesstoß sei also fällig gewesen. Das Wort, das dem Soziologen in seinen Betrachtungen nicht über die Lippen kommt, heißt "Kräfteverhältnis". Ganz sicher gab es in der osteuropäischen Bevölkerung, die sich von ihren Staatsapparaten befreite, nicht wenige, die an weitergehender Freiheit interessiert waren. Aber die Mehrheit stellten jene, deren Freiheitsgrenzen in Mallorca und dem neuen Auto lagen. Das nächste Wort heißt "Niederlage": Auch, wenn die Niederlage eines zum Kapitalismus alternativen Modells lange zuvor begonnen hatte, endgültig war sie erst 1989.

In einer Zeit, in der die Zukunft der Arbeit durch den vorläufigen Sieg globalisierten Kapitals bestimmt wird, sind Diskussions-Beiträge zu dieser Zukunft grundsätzlich willkommen: Fertige Lösungen zur Klärung hat keiner, die Entwicklung bedarf praktischer Auseinandersetzungen ebenso, wie intellektueller Entwürfe. Wenn aber einer wie Engler sein Buch mit einer leisen Hoffnung auf einen neuen Bismarck "der die moderne Sozialversicherung begründete" beschließt, dann muss dessen Verständnis von Politik und Ökonomie bezweifelt werden. Nicht nur, weil er den großen Druck aus der jungen, umtriebigen Sozialdemokratie auf das Bismarcksche Handeln zu erwähnen vergisst. Sondern auch, weil er mit dieser Hoffnung einen Glauben an Lösungen von "oben" demonstriert, die in den bekannten Besitz- und Herrschaftsverhältnissen nicht zu finden ist.

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