Jüngst hat Innenminister Friedrich beschwichtigend erklärt, die Aufarbeitung der NSU-Morde sei noch nicht zu Ende. Friedrich will den Verfassungsschutz retten, dessen Beamten-Aktivitäten zuweilen nicht von denen seiner V-Leute zu unterscheiden ist. Ihm schmeckt zwar die öffentliche Aufregung um die Nazi-Morde nicht, aber zugleich ist ihm die Beschränkung auf den NSU recht. Diese Blickverengung auf die Spitze der Nazi-Gewalttaten macht Patrick Gensing mit seinem Buch "Der Terror von Rechts" nicht mit: Er fragt nach dem gesellschaftlichen Umfeld in dem diese und weit mehr als hundert andere Morde möglich waren, abgetan als private Schlägereien, als Einzeltaten, oder eben als Auseinandersetzung im "Ausländermilieu". Gensing weist auf eine deutsche Öffentlichkeit, die Rassisten wie Sarrazin und Buschkowsky feiert und den Berliner Bezirksbürgermeister, unmittelbar nach den Morden, als Experten zum Rechtsterrorismus zu den Talkshows einlädt, um über Migranten zu reden. Ganz wesentlich begreift der Autor zudem, dass die NSU-Morde nur Teil eines braunen Netzes sind, ein Netz, das "keinen Wandel der etablieren Strukturen (anstrebt), sondern deren komplette Vernichtung."
Alle Welt gibt sich erstaunt über den NSU, aber neben der koordinierten Anti-Ausländerkampagne, wie "Das Boot ist voll" (Der Spiegel) und den "Asyslbetrügern" (Bildzeitung), die den ideologischen Hintergrund für die Morde abgibt, findet Gensing frühe Botschaften zum NSU: "Vielen Dank an den NSU", war bereits 2002 in einem Nazi-Musik-Magazin zu lesen und noch bevor der Name der Terror-Gruppe die Medien füllte, war in der rechten Szene ein Lied zu den "Döner-Killern" populär. Und Gensing erinnert mit seinen Recherchen an den Nazi-Überfall auf eine Bundeswehreinheit zwecks Waffenbeschaffung, an den Doppel-Mörder Kay Diesner, an den dreifachen Polizistenmörder und aktiven Nazi Michael Berger und viele andere mehr, die immer wieder und gern als "Einzeltäter" bezeichnet wurden. All diese "Einzeltäter", so Gensing, haben nicht nur eine ideologische Heimat in der NPD, sie ist auch, durchweg die staatsfinanzierte, organisatorische Drehscheibe für eine rechte Gewaltorgie, die in den 180 von Rechtsextremen Ermordeten seit 1990 und den NSU-Opfern ihre Höhepunkte findet. Der Autor weiß auch: Jede Menge NPD-Mitglieder und Funktionäre sind verurteilte Gewalttäter. In den vergangen zehn Jahren haben rund 110 NPD-Funktionäre 120 Straftaten begangen. Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Waffenbesitz und Erpressung zählen zu deren beliebten Delikten. Typisch für die Haltung der staatlichen Institutionen ist, dass diese Statistik nicht von ihnen stammt, sondern von Journalisten.
Neben einer Fülle von Informationen und soliden Recherchen unterlaufen Gensing in der Debatte gegen Rechts zwei typische Fehler: Zum einen, wenn er von einem "antisemitischen Nobelpreisträger" schreibt, um die Breite rechter Gesinnung zu beweisen. Dass die Kritik von Grass an der israelischen Regierung von Gensing als Antisemitismus gewertet wird, trübt nur die Analyse: Ist der Israeli, der seine Regierung kritisiert dann auch Antisemit? Zum anderen sieht er "im Osten" ein höhere Quantität und Qualität des militanten Rechtsextremismus. Auch wenn er im Zahlenvergleich mit dem Westen bei rechtsextremen Verbrechen und den NPD-Mandaten recht hat, sieht er doch selbst an anderer Stelle die Wurzeln rechtsextremer Gewalt im Westen verortet.
Unter der Überschrift "Der vergessene Terrorismus" erinnert Gensing in einem ARD-Beitrag an den im Westen beheimateten Manfred Roeder. Der, so schreibt Gensing, "hatte Anfang der 1980er Jahre den Aufbau der Deutschen Aktionsgruppen vorangetrieben. Das Konzept dieser Terrorzellen war dem des NSU verblüffend ähnlich. So wurden Bombenanschläge verübt - unter anderem in Hamburg und Baden-Württemberg - bei denen zwei Menschen getötet und mehrere verletzt wurden. Finanzieren sollten sich die Terrorzellen durch Banküberfälle, eingesetzt wurden von den Rechtsterroristen auch Rohrbomben." Und: Im Jahr 2003 trafen sich Neonazis auf dem Hof von Roeder in Hessen. Mit dabei laut Medienberichten: Mitglieder des Thüringer Heimatschutzes" (der politischen Heimat der Zwickauer-Mördergruppe). Vor allem aber: All jene Strukturen, die via Medien ein Anti-Ausländer-Klima herstellen, der Verfassungsschutz, dessen sogenannte Pannen auf dort vorhandene Sympathien mit den Nazis hinweist und bürgerliche Politiker, die sich Jahrzehnte dagegen wehrten Deutschland als Einwanderungsland zu begreifen, waren und sind immer noch vom Westen dominiert.