So fern liegt Chile. Und so nahe rückte es der internationalen Linken, als es dort, Anfang der 70er Jahre, mit dem Stimmzettel gelang eine Form des Sozialismus einzuführen. Ein Sozialismus ohne diktatorische Gewalt, ein Modell für viele in Europa. Mit der freundlichen Hilfe der USA und warmem Beifall aus der Bundesrepublik gelang dem Militär ein Putsch gegen die gewählte Regierung Allende. Eine lange, düstere Zeit der Folter, der Morde und der Gefängnisse begann. Doch auch nach dem Ende der Diktatur, 1989, blieb das Land umschattet vom Schweigen und Verschweigen: Kaum einer der verantwortlichen Verbrecher aus den Reihen von Armee und Polizei wurde verurteilt, der oberste Mörder, General Pinochet, starb 2006 ungestraft in seinem Bett. In dieser verdrucksten, beschwiegenen Zeit spielt der Roman "Die Erfindung der Kindheit" von Alejandro Zambra.

Es ist ein noch junger Schriftsteller, der sich in Zambras Roman auf die Suche nach jenem Zipfel der Wahrheit begibt, die mit der Identität zu tun hat: Waren seine Eltern an der Diktatur beteiligt? Durch aktives Handeln oder durch Stillschweigen? Und warum hat ihn damals, als er noch Kind war, eine junge Frau dazu gebracht einen Nachbarn zu bespitzeln? Der Nachbar war in den Zeiten der Illegalität, als ein falsches Wort den Tod bedeuten konnte, einer von denen, die anderen halfen sich zu verstecken, außer Landes zu gegen, dem Tod zu entfliehen. Und der Nachbar war auch der Vater der jungen Frau, die der spätere Schriftsteller anhimmelte und die er sich durch die Beobachtung des geheimnisvollen Mannes geneigt machen wollte.

Es ist ein merkwürdiges Chile, das uns Zambra erzählt. Ein Land scheinbar ohne jüngere Vergangenheit, eines, in dem die Mörder unbehelligt umhergehen und den Opfern keine Stätte der Erinnerung gegeben wird. Der Schriftsteller sucht nach einer verlorenen Liebe, nach seiner eigenen Geschichte und nach der Geschichte, die er aufschreiben will. Auf dem Weg zurück in die finstere Zeit, belehrt ihn seine Mutter darüber, dass die Linken eben Terroristen waren und zu Recht verfolgt wurden. Und außerdem, "das mit den Klassen hat sich inzwischen gewaltig verändert, das sagen alle". Der elegische Text von Zambra, häufig mit der Konstruktion eines Romans im Roman beschäftigt, berichtet vom Schweigen. Vom Enthüllen weiß er wenig zu sagen.

Ein früher Morgen im September 1973. Ein Bus mit westdeutschen Linken ist unterwegs zu einem DDR-Kombinat. Politischer Tourismus. Im Autoradio die Nachricht: Präsident Salvador Allende ist tot, der linke chilenische Traum ist ausgeträumt. Vor dem Betrieb ziehen demonstrativ bewaffnete Arbeiter auf: So was wie in Chile, sagen sie, so was passiert uns nicht. War es wirklich nur ein Traum? Ist "das mit den Klassen" gänzlich zu Ende? Fragen, die Zambras Roman immerhin stellt. Die Antwort müssen die geben, die mit den Mördern und ihren Komplizen in den USA und der Bundesrepublik noch eine Rechnung offen haben.