Wie ein funkelnder Stein, wie ein verstecktes Geheimnis lässt Michael Ondaatje seinen Roman "Katzentisch" anfänglich aufschimmern, als sei er eigentlich nicht für die Augen seiner Leser bestimmt, eher ein privater Brief, nur für wenige bestimmt, der zögernd und langsam einer Öffentlichkeit übergeben wird, von der Ondaatje nicht sicher ist, ob sie das Geschenk verdient hat.
Es sind die Fünfziger Jahre als der elfjährige Michael - der nicht nur den Vornamen des Autors trägt sondern auch manches aus dessen Leben entlehnt hat - sich auf den langen Weg von der einen Insel, die damals Ceylon hieß, zur anderen aufmacht, die immer noch den Namen England trägt. Lange Wochen einer Schiffsreise liegen vor ihm, Wochen, in denen er gemeinsam mit zwei Gleichaltrigen vorsichtige Blicke in das Leben der Erwachsenen wagt, nicht selten aus der Deckung eines Verstecks, immer aus der Deckung einer Kindlichkeit, die ihm sowohl zu eigen als auch Instrument ist.
Seit ein paar Jahren ist die Insel, die sich später Sri Lanka nennen wird, unabhängig, aber die Abdrücke der Fesseln sind noch auf allen Gelenken der ceylonesischen Gesellschaft zu spüren, die Kinder der bessern Gesellschaft müssen auf die besseren Schulen und natürlich gibt es die nur in England. "Nachdem ich den Indischen Ozean und den Golf von Aden und das Rote Meer durchquert hätte und durch den Suezkanal in das Mittelmeer gelängt wäre, würde ich eines Morgens an einem kleinen Pier in England anlegen." Michael wird dort anlegen, es sollte nicht sein letzter Pier sein.
Es ist das schwebende, Langsame dieser Reise, die Ondaatjes Sprache prägt. Und es ist die vibrierende Neugier und pubertierende Unsicherheit, die den Jungen am Katzentisch - weit weg vom Kapitänstisch und den Passagieren der ersten Klasse - Einblicke ermöglicht, die über ihr Alter hinaus weisen: "Was interessant und wichtig ist, ereignet sich in der Regel im verborgenen, an machtfernen Orten. Nichts von bleibendem Wert ereignet sich je am Tisch der Mächtigen, wo altvertraute Phrasen Kontinuität garantieren."
An einem verborgenen Ort des Schiffes lebt in Ketten der Mörder. Immer des Nachts wird er, mit klirrendem Gang und in Bewachung, an die Luft geführt. Er wird, ohne dass Ondaatjes Buch zum Kriminalfall verläppert, dem Roman eine Wendung geben, die weit in das Leben nach der Reise, in das Erwachsensein der junge Reisenden hineinragt. Auf dem Weg dorthin wächst dem nun älteren Michael eine Erkenntnis zu: Er gehört, zwischen seinen Herkünften, zwischen den Nationen lebend, nirgends hin. Das ertüchtig das Sehen und das Schreiben.
Die Lesung zu Michael Ondaatjes KATZENTiSCH findet am 22. 2. 2012 um 20.00 Uhr in der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz statt.