Wir alle kennen das: E-Mail-Müll und Face-Book-Lasten, das Handy klingelt und auch die Tür, und wenn man gerade mal dringend rein will, bleibt man draußen. Es ist das schwere Computer-Leben, das den Feuilleton-Chef der "Frankfurter Allgemeine", Frank Schirrmacher, dazu trieb dem ohnehin überfüllten Markt ein Buch namens "Payback" zu übergeben. Und wer, dem Titel folgend, gedacht hat, er bekäme bei Nichtgefallen sein Geld zurück, der irrt. Während der Trend-Fabulierer des "Spiegel" Matthias Matussek, sich eher in der Zielgruppe der Eingebildeten (solche die sich einbilden sie seien gebildet) austobt, hat Schirrmacher die Gruppe der Halbgebildeten vor Augen. Das sind jene armen Menschen, die ganz schön viel wissen, nur leider keine Zusammenhänge erkennen können. Denen will er, kurz vor dem Weihnachtsgeschäft, noch einmal richtig Angst einjagen, damit sie nur ja sein Lebenshilfe-Buch unter ihren und anderer Leute Bäume legen.

So viele Daten, schreibt der Autor: "Ich weiß noch nicht einmal, ob das, was ich weiß, wichtig ist, oder das, was ich vergessen habe, unwichtig ist." Hielte man ihm entgegen, dass ähnliche Symptome beim Lesen der "FAZ" auch auftreten, käme ihm folgender Satz: "Informationen fressen Aufmerksamkeit, sie ist ihre Nahrung". Und weil sich schon Darwin, bei einem Zusammentreffen von Bevölkerungsexplosion und Nahrungsmittelknappheit, Sorgen um das Artensterben machte, kommt dem FAZ-Feuilletonisten in den Sinn, dass eine "Informationsexplosion" unsere Art zumindest gefährdet, wenn sie nicht gar ausstirbt. Ein Hinweis sieht er darin, dass "wir alle zunehmend Probleme (haben) ein Buch zu lesen". Meint `wir´ wirklich alle oder ist es doch eher der Pluralis majestatis des kleinen Königs der FAZ-Kultur? Und warum schreibt Schirrmacher dann noch ein weiteres? Zudem: Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels schreibt, dass die deutschen Verlage in 2008 "zum ersten Mal mehr als eine Milliarde Bücher" produziert haben. Solchen Klüften zwischen Schirrmachers Welt und der Wirklichkeit wird man in seinem Buch noch häufiger begegnen.

Unsere Gehirne veränderten sich unter dem Einfluss der Computer, wir seien "den Dingen" nicht mehr gewachsen, raunt Schirrmacher mit betroffener Schreibe und glaubt: "Nichts ist dafür kennzeichnender als die hilflosen Debatten um Pisa, Bologna, Bildung und lebenslanges Lernen." Wer eine Lust am Durchblick hat, der erkennt die Schuldigen an der katastrophalen Bildungspolitik schnell: Ein besonders in CDU und FPD kumulierter Aberglaube, man müsse sich nur um die Kinder der besser Verdienenden kümmern. Journalisten, die von den besseren Beispielen in Polen und Finnland nicht berichten wollen. Regierungen, die gerne Geld für die Senkung der Unternehmenssteuern ausgeben, aber in der Bildungsfinanzierung versagen und schließlich Bildungsstätten, die in einem Zustand sind, dass ein feiner Herr wie Frank Schirrmacher sie gar nicht erst betreten würde. Und überall stehen natürlich Computer rum, das muss der Zusammenhang sein, will uns der Journalist glauben machen und blendet jeden politisch-gesellschaftlichen Grund für die Bildungsmisere aus.

"Auch die Bankenkrise", schreibt der Autor, "hat gezeigt, dass die entscheidenden Fehler im System nicht erkannt werden. "Wer jetzt hofft, Schirrmacher käme nun dem gesellschaftlichen System auf die Schliche, der irrt gründlich. Wieder sind es die Computersysteme, die er für verantwortlich hält. Wenn er mit dem "Taylor-Produktions-System", der Zerlegung und Kontrolle aller Arbeitsschritte in der Bandmontage, den Anfang der Maschinenherrschaft beschreibt, die uns später die Diktatur der Computer beschert habe, dann wird seine Methode besonders deutlich: Dass es um die Optimierung von Profit geht, damals wie heute, dass es handelnde Menschen sind, Gruppen, die ein Interesse haben, darüber mag der Journalist nicht nachdenken. Da bleibt er doch lieber im Mystischen stehen: Schuld war dieser Taylor, schuld sind diese Computer.

Und wenn man dann denkt, jetzt habe der Autor doch etwas begriffen, jetzt sähe er soziale Zusammenhänge - als er einen Wissenschaftler zitiert, dem die Ungleichheit der Arbeitsumstände zwischen Arm und Reich aufgefallen war - dann landen wir doch wieder auf Schirrmachers beschränkter Festplatte: "Reichtum zeigt sich daran, . . . wie viel Geld man investieren kann, um Ablenkung von sich fernzuhalten." Der Millionär benutzt kein Handy, keinen Computer? Dann ginge es ihm wie vielen Leuten in Afrika. Die allerdings sind arm. Unbedingt will der Autor alles in dieser Welt auf die Existenz von Computern zurückführen und landet irgendwann bei "YouTube". Ein Blick auf diese Video-Plattform genüge ihm, um zu begreifen "dass Erfahrungen zunehmend nur gemacht werden, damit man sie digital verarbeiten und verwerten kann." Am glücklichen Schirrmacher müssen die endlosen Dia-Vorträge der 60er und 70er Jahre vorbeigegangen sein, Ergebnisse von Reisen, die nur gemacht wurden, um sie analog zu verarbeiten. Der Unterschied ist technisch und quantitativ, eine neue Qualität ist nicht auszumachen.

Irgendwann entdeckt der FAZ-Mann dann auch noch den göttlichen Algorithmus: Wenn unsere Daten auf der Kaufplattform Amazon, mit denen unserer Autovermietung, den Krankenkassen- und Bankdaten vernetzt werden, dann sind wir ganz und gar transparent: "Die Verwandlung des Menschen in Mathematik" begänne. Käme dem Autor endlich der Innenminister in den Sinn, dann wüsste er, das es nie die Maschinen oder die Methoden sind, die wir zu fürchten haben. Vom verratenen Beichtgeheimnis bis zur Datenvorratsspeicherung: Es sind die schnüffelnden Menschen, die wir im Auge haben müssen, auch und gerade, wenn die Technik ihnen immer bessere Beobachtungsmöglichkeiten zur Verfügung stellt.

Im Buch treffen wir dann noch auf das als gefährlich eingeschätzte "google ranking", das den Informationen eine "Art Sozialprestige" verschafft. Als würde die gerankte Auflage der "FAZ" nicht zur selben Aufwertung von Informationen führen, deren wirklicher Wert zuweilen recht fraglich sind. Auch die Schirrmacher-Weisheit, dass bei der Jagd auf Informationen im Netz auch immer blödes Zeug zu finden ist, also ein "Minus-Geschäft" gemacht werden kann, hat alltägliches: Der Mann, den so etwas ängstigt, darf sich auf keinen Fall mit einem der Stammgäste aus der Kneipe an der Ecke reden. Irgendwann, gegen Ende des Buches, wenn der Leser viel Schwallst (notwendig neues Wort für einen heftigen Schwall von Schwulst) abgearbeitet hat, kommen dann auch noch die Hinweise dafür "wir wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen können". Das einfachste wäre natürlich auf den Aus-Knopf an all den schönen elektronischen Geräten hinzuweisen, das aber produziert keine Druck-Seiten. Also pisst Schirrmacher weiter Buchstaben für Buchstaben in den Schnee und wir können nur hoffen, dass der Tau bald alles ausgelöscht hat.