»Alle Unmenschlichkeit,« notiert Ben Hecht, der amerikanische Reporter, Drehbuchautor und Vielschreiber, »die ich heute -1953- als Historie registriere, erlebte ich in Deutschland zwischen 1918 und 1920«. Ben Hecht schreibt seine Erlebnisse im revolutionären Deutschland gute 30 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg auf, zwischenzeitlich gab es einen Zweiten und die Vernichtung der europäischen Juden. Und wenn der Reporter Hecht damals, im aufständischen Berlin und im räterevolutionären München, noch politisch naiv gewesen sein mag, als er seine Erinnerung an das Deutschland von Revolution und Konterrevolution niederschreibt ist er es nicht mehr.

Das »Adlon« war die Operationsbasis des Reporters, gestützt auf Dollars, also echtes Geld, knüpfte er aus dem Hotel ein Netz von Informanten. Einer von ihnen führt ihn in das Berliner Schloss, das seltsam zaghaft von revolutionären Matrosen unter Führung von Karl Liebknecht eher beschritten als besetzt wird. Liebknecht nimmt Quartier im Bett des Kaisers, deponiert auf dessen Nachttisch seine Unterlagen und der Tisch kracht unter der revolutionären Last zusammen. Wenn man Hecht glauben darf, ergriffen die Matrosen daraufhin die Flucht.

Es ist Hechts Grundthema, dass er die deutsche Revolution für unprofessionell und letztlich für eine Fälschung der alten Herrschaft hält, für einen bolschewistischen Buhmann, den die - Republik hin oder her - immer noch kaiserliche Generalität vor der Nase der Alliierten schwenkt, um bessere Friedensbedingungen zu verhandeln und die deutsche Armee als innenpolitischen Machtfaktor unbeschädigt zu erhalten. Was Hecht nicht völlig zu unrecht für unprofessionell hält, ist eher Unschuld. Denn während uns die beiden kontroversen Positionen historischer Erzählung entweder eine brutale, rote Gefahr oder einen heroischen, klug geleiteten Volksaufstand liefern, war die deutsche Revolution, anders als die russische, eher ein spontanes Aufbegehren, ein Verweigern, um primär eins zu erreichen: Das Ende von Krieg und Hunger.

Auch wenn die Ludendorffs, die Hindenburgs, die erst Vorläufer der Hitlerei waren um später als Mitläufer zu landen, den Matrosenaufstand und die Arbeiter- und Soldatenräte, die sich 1918 in allen größeren deutschen Städten gründeten, als rotes Ablenktuch für die Alliierten Sieger nutzten (Hecht begreift dieses Muster, nachdem die Amerikaner sich die falschen deutschen Freunde aussuchen, als schlechten Fortsetzungsroman bis in die fünfziger Jahre hinein), waren die Aufstände der Arbeiter und Soldaten doch von originärer Kraft und Wucht. Nur nach der Demonstration, nach der Besetzung, nach der völlig unblutigen, temporären Machtergreifung ging man eben wieder nach Hause.

Es gibt bei Hecht zwei Schilderungen aus dem Frühjahr 1919, die, jenseits aller nachträglicher Umdeutung, wie sie auch im Deutschen Historischen Museum zu besichtigen ist, die bittere Wahrheit über Revolution und Konterrevolution beschreiben. Zuerst sind die »Märzkämpfe«, der Aufstand von neuntausend Männern und Frauen, die begriffen haben, dass »Die Junker-Armee« restauriert ist und daraus eine düstere Zukunft ableiten, deren Anfängen sie wehren wollen. Hecht beobachtet, wie sich am Alexanderplatz Spartakisten und weiße Offiziere gegenüber stehen und »die zur Schlacht gerüsteten deutschen Revolutionäre« ihre Waffen niederlegen. Die Schüsse sollen drei Wochen später fallen, als im Moabiter Gefängnishof , von der sozialdemokratischen Regierung angeordnet, zweitausend Männer, Frauen und Kinder, allesamt am Alexanderplatz eingefangen, von Maschinengewehrgarben hingemäht werden. Das ist der wahre Anfang vom Ende einer Republik, der erste maschinelle Massenmord, dem Millionen folgen sollten.

Die »Revolution im Wasserglas« bewegt sich auf kaum hundert Druckseiten, aber die haben es in sich. Mit einem fast verzweifelten Humor beschreibt Hecht die Münchner Räterepublik als »komische Oper«, seinem intensiven Blick entgehen nie die Schwächen und Stärken der Protagonisten. Wenn er auch, weil es ihm an politischen und sprachlichen Kenntnissen mangelt, auf Ausschnitte beschränkt ist, macht seine Unbestechlichkeit, seine menschliche Wärme und seine fremde Sicht den schmalen Band zum seltenen Zeugnis deutscher Geschichte. Mitten in der Geschichte lässt Hecht ein Geschichtchen stattfinden, seine Entdeckung der Dada-Bewegung, die im Kampfruf »Nehmt den Fuß aus der Butter, bevor es zu spät ist!« mündet, ein Ruf, der den heutigen prätentiösen Bemühungen von Regierungen sich als Handelnde darzustellen auch gut täte.

Dem Berenberg-Verlag ist mal wieder einen Entdeckung gelungen. Man muss sich das so vorstellen, dass irgendjemand aus dem Verlag, wahrscheinlich Heinrich von Berenberg selbst, durch die internationale Literaturlandschaft wandelt, mal hier was besonderes Spanisches und mal dort was außergewöhnliches Englisches aufhebt und einsteckt, um es sorgsam übersetzen und zwischen zwei Buchdeckel pressen zu lassen. Dann kommen Bücher heraus, die, obwohl schon ein wenig älter, häufig mehr Neuigkeiten verbreiten als die Novitäten anderer, mächtiger Verlagsgruppen zu bieten haben. Einen Fehler allerdings begeht der Verlag ständig: Seine Bücher sind so lecker gestaltet, gedruckt und eingebunden, dass man versucht ist sie zu essen. Bitte aber erst lesen!