Wer zweimal mit der selben pennt
gehört schon zum Establishment.
68er Spruchweisheit

Ende der 60er Jahre, als nur der politische Anspruch noch großmächtiger war als der sexuelle - mancher wollte sogar, mit der sexuellen und der politischen Revolution, beide Sachen zugleich erledigen - ist Philip Roths Roman "Portnoys Beschwerden" erstmalig erschienen. Der arme Alexander Portnoy beschwert sich in einer nicht enden wollenden Beichte bei seinem Psychiater über sich selbst: Wie er von Möse zu Möse eilt, immer mit dem selben Ziel und dem selben schlechten Gewissen. Denn eigentlich, das weiß der kleine Alex - aufgewachsen in einer ordentlichen, jüdischen Familie - der im großen Alex sitzt, bumst man nicht ständig rum, man gründet eine Familie, spielt Vormittags Softball, isst einen herzhaften Eintopf, um dann gemeinsam Radio zu hören. So weit, so orthodox, so beschwerlich.

Natürlich war der lauthalse Anspruch kaum etwas Anderes als eine Reaktion auf reaktionäre Verhältnisse gewesen: Da duckten sie sich in den jüdischen Milieus am Rande der großen Städte der USA, wie auch in den katholisch-evangelischen Familien in allerlei angeblich entwickelten Ländern. Da mussten vor und nach dem Essen die Hände gewaschen werden und natürlich sollten sie auch oberhalb der Bettdecke bleiben, wußte man doch von drohendem Rückmarks-Schwund und dem Verfall des Vaterlandes im Falle der Onanie. Nur ein braves Kind war ein gutes Kind und die Atombombe, so Portnoys Vater, könnte ihm vielleicht gegen seine ständige Verstopfung helfen. Nie wieder würde so viel falsche Zukunft den Alltag prägen wie in den Fünfzigern. In diesem Umfeld gelesen sind "Portnoys Beschwerden" als Provokation gegen den Mief jener Zeit zu begreifen, ein Aufstand gegen das große Tabu, das heute längst von der Porno-Industrie aufgesogen, kommerzialisiert und kanalisiert worden ist.

Anders als bei manchem, der damals die Revolution nur mit drei "R" aussprechen mochte, der von der Provokation nahtlos in die dauerhafte Selbstbespiegelung gelangte, war dem literarischen Aufbruch des Schriftstellers Philip Roth von Beginn an eine scharfe soziale Analyse zu eigen, die in späteren Werken, wie "Der Menschliche Makel" oder "Empörung" eine kräftige politische Erektion zur Folge hatte: Nie platt, nie vordergründig und immer wieder eingebettet in das amerikanische Kleinbürgertum, seine Riten und seinen Glauben an eine USA, die es nie oder nur selten gab. In "Empörung" taucht, fast vierzig Jahre nach dem Erstlingserfolg "Portnoys Beschwerden", erneut ein Fragment aus der chinesischen Nationalhymne auf: "Steht auf! Ihr, die ihr nicht Sklaven sein wollt". Das beschwörende Zitat - Ergebnis eines kurzen Bündnisses der USA mit dem revolutionären China gegen das faschistische Japan, das in den amerikanischen Grundschulen zu einem Aufsage-Vers geführt hatte - bleibt dem Schriftsteller Teil seines Bekenntnisses, fernab vom Glauben an was auch immer.

What´s left? Was ist geblieben vom Enthusiasmus einer Zeit, die den Einzelnen zu Entscheidungen aller Art forderte: Gehörst Du zu denen, die mit dem Strom schwimmen oder nimmst Du Deinen Löffel in die Hand, um den Sumpf aus falschem Pathos, Geschäft und Bigotterie trocken zu legen? Die meisten haben den Löffel aus der Hand gelegt, sich an Pathos und Geschäft beteiligt und schwelgen abends, bei einem vorzüglichen Trebbiano, von damals, als man gerne mal blasphemisch war: "Die beten einen Juden an", lässt Roth den Vater von Portnoy verächtlich über die christliche Mehrheit sagen und gibt so die Sicht auf den allgemeinen religiösen Unsinn frei. Die Distanz zur Religion ist heute Alltag, wenn man nicht gerade dringlich Buddhist geworden ist. Die Emanzipation von Formenzwang und Glaubensgewissheit scheint gelungen. Erhalten ist auch der halbwegs unverklemmte Umgang mit allerlei Geschlechtern. Doch vom damals eingeforderten aufrechten Gang scheint nur die Erektion geblieben.

Immer noch liegt in der Abweichung von der Norm, im Zweifel an der Gültigkeit des gesellschaftlichen Konsens, die Möglichkeit der Veränderung, der Besserung, erzählt uns "Portnoys Beschwerden" bis heute. Und, lange nach dem Entstehen des Buches, gibt seine Neuauflage auch die große Möglichkeit, das Was und Wie der Abweichung auf seinen Gehalt abzuklopfen: Wo im Neuen das Bessere entsteht und wo es nur die Karikatur des Alten ist.