Ich hatte vergessen, wie viel eine einzige Person verrichten kann, bevor ich polnische Arbeitskräfte einstellte.
David Frost, Vorsitzender der britischen Handelskammer (2007)
Mittlerweile wollen die Briten keine polnischen Gastarbeiter mehr haben. Die Bundesregierung geht da diplomatischer vor. Sie wirft den Medien in regelmäßigen Abständen einen Aufreger hin, um Aktivität zu demonstrieren. LeserInnen mit einem Elefantengedächtnis erinnern sich vielleicht noch an den „Aufbau West“. Zuletzt wurde das Schwarzarbeiterproblem hochgekocht, um dann plötzlich wie auf Knopfdruck wieder in der Versenkung zu verschwinden. Viele dieser Schwarzarbeiter sind hart schuftende Polen, die zu Dumpinglöhnen vorzügliche Handwerksarbeit verrichten, die sich Otto Normalverbraucher sonst wohl nicht leisten könnte. Das Polenbild wandelt sich allmählich.
Aber hat sich auch an der Darstellung der Deutschen in Polen etwas geändert? Die Aufregung in den polnischen Medien über die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, die dem Stiftungsbeirat des geplanten Zentrums gegen Vertreibungen als einzige Fachfrau angehören sollte, lässt uns eher das Gegenteil vermuten. Bis jetzt bleibt die Vertreibung von 16 Millionen Deutschen aus ihren alten Siedlungsgebieten im Osten das letzte Großverbrechen des Zweiten Weltkriegs, dem noch keine adäquate Gedenkstätte gewidmet wurde. Tatsächlich wurde die Heimat der Ostpreußen, Pommern und Schlesier von den westlichen Siegermächten dem Territorialinteresse der Sowjetunion geopfert, die Teile des Russischen Reichs wieder eingemeindete, die Marschall Pilsudski der Roten Armee entrissen hatte. Die dabei vertriebenen Polen wurden in den deutschen Ostgebieten angesiedelt. Bayern, die Brutstätte des Nationalsozialismus, hatte das unverschämte Glück, nicht an Polen zu grenzen.
Włodzimierz Nowak (Jahrgang 1958) hat zwölf deutsch-polnische Berührungen aus sechs Jahrzehnten für die Gazeta Wyborcza abgeschildert. Seine Reportagen entstanden zwischen 1997 und 2006. Es sind harte Brocken darunter, ohne alle Klischees, schonungslos offen, oft schmerzhaft, aber auch unterhaltsam (Martin Pollack).
Die Hälfte der Stücke handelt von der Kriegszeit und ihren unmittelbaren Folgen. Die Ereignisse sprechen für sich selbst und bedürfen nicht der Erklärung. Leider lassen sich einige Parallelen zur Gegenwart finden. Besonders hat mich erschüttert, von der Ausmordung einer Hochzeitsgesellschaft zu lesen. Das sind Verbrechen, die wir heute nur aus Afghanistan kennen.
Alte Frauen berichten von ihren traurigen Kindheitsschicksalen. Sie waren polische Kinder, die als deutsche aufgezogen wurden oder deutsche, die zu Polen wurden.
Reichlich Raum nehmen die exemplarischen Soldaten- und Partisanengeschichten ein. Manches kennt der eine oder andere wohl schon aus Opas Erzählung. Der Bericht eines deutschen Belgiers aus Eupen-Malmedy von seiner Teilnahme an der Niederschlagung des Warschauer Aufstands zeigt, in wie hohem Maße das Töten damals noch Handarbeit war. Heute ist alles Heldentum negativ besetzt, weil es keine Partisanen mehr gibt, sondern nur noch Terroristen.
Gottlob beginnt in Polen irgendwann die Nachkriegszeit.
Der polnische Sozialismus wird nur marginal erinnert. Mit der Wiedervereinigung tauchen wir ein in die Welt der Schlepper, Schleuser, Schmuggler und Zuhälter, all jener Polen, die sich mit der nötigen kriminellen Energie an der Oder-Neiße-Grenze eine goldene Nase verdienen. Das Humankapital aus Afrika und Asien, das über die Grenze schwappt, wird besonderer Menschenrechte teilhaftig, die die beiderseitige Bürokratie mit juristischer Grausamkeit zelebriert. Mit dem polnischen EU-Beitritt ordnen sich die Dinge allmählich (das heißt, der Menschenschmuggel verlagert sich an die ukrainische Grenze) und kommen auch Studenten und Ein- und Auswanderer zu ihrem Recht auf einen Zeitungsartikel.
Die letzte Geschichte ist kurz. Sie handelt davon, dass in Bochum 3150 Opel-Arbeiter entlassen werden, weil in Gliwice ein neues Opel-Werk aufgemacht wurde. Das waren die kleinen Sorgen von 2005.
Wie steht es nun um das aktuelle Deutschenbild in Polen? Gut Ding braucht Weile. Noch haben die kauzigen Zwillinge die Meinungshoheit. Aber die Zeit arbeitet gegen ihre Zeugen und deren Kinder. Wir dürfen hoffen, das uns die Polen in dreihundert Jahren ähnlich sehen werden, wie wir heute im Urlaub die Schweden wahrnehmen, als eine gebräunte Nation, nur etwas blond.