Ich habe nichts gegen Egoisten.
Bloß ein bisschen egoistischer könnten sie sein.
Dietmar Dath

Es gibt, selten genug, Bücher, über die man nichts anderes schreiben kann als: Lest gefälligst selbst. Weil die Interpretation zwangsläufig verwässert. Weil man die vorliegenden Gedanken und deren Form ohnehin nicht übertreffen kann. Weil im Buch alles gesagt ist, warum das also wiederholen, kürzer und womöglich schlechter. Wenn ich "Maschinenwinter" von Dietmar Dath trotzdem rezensiere, dann auch, weil ich meine Zunft nicht überflüssig machen will. Ein gutes mittelalterliches Argument. Aber auch, weil ich mich im vorliegenden Fall, was die vornehme Kritik natürlich nie tun würde, als Marketingmaschine im Sinne von Kaufen! Lesen! Verschenken! begreifen will.

Dath ist kalt, grausam und egoistisch: In einem Abschnitt über Moral kennzeichnet er unsere Gesellschaft als schweinisch, obszön und widerlich, weil Gewinne aus Krankheit und Elend gezogen werden. Mit einem scheinbaren "na und" wischt er die Moral weg und will nur die Vernunft gelten lassen. Jene kühle Vernunft, die sehen und begreifen kann, dass ein System, das solche Ungleichheit produziert, das Überleben von immer wenigeren garantieren kann, selbst wenn es selber weiter lebt und dass es, mit einer hohen Wahrscheinlichkeitsquote auch denen, die noch eine Rendite aus ihm beziehen, die sich also Teilhaber fühlen, garantiert: Du bist der Nächste. Der nächste der rausfliegt, der nächste, der an der Suppenküche Schlange steht, der nächste, dem der Prozess wegen Überflüssigkeit gemacht wird. Daths Egoismus will verhindern, dass er selbst nicht dabei ist.

Wenn Dath laut und beissend über die Herrschenden und ihre Komplicen schreibt, dann fallen ihm Fernsehintendanten ein, "die von jedem Programmpunkt, den sie verantworten, angeben können, gegen welche Sorte Volkszorn er sie versichern soll, aber von keinem, warum er ihnen selbst gefällt". Dann weist er der vorgeblichen Informationsgesellschaft nach, dass sie sich zum "Infofeudalismus" entwickelt, der nicht mehr das Weideland besitzen muss, um über das Vieh zu herrschen. Das Gen-Patent reicht allemal. Dann bemerkt er den allgegenwärtigen Rückschritt, der in allen Medien tapfer als Fortschritt ausgegeben wird, als die Rückkehr zur Adelsgesellschaft: Wie anders, so Dath, sollte der debile Sohn eines amerikanischen Kriegskönigs namens Bush sonst zum Bush II ausgerufen worden sein während der Bruder, der Gouverneur von Florida, als Bush III in Reserve blieb.

Es sind immer kühne Assoziationsketten, mit denen Dath uns an sein Buch fesselt. Zu dem von Teilen der Linken verhandelte Existenzgeld, jenes Daueralmosen ohne Arbeit, weiß er zu erinnern, dass es eine kapitalistische Warenwirtschaft gibt: "Das Existenzgeld wirkt, wenn es echtes Geld ist, als banale Wertvernichtungsvorrichtung. Was man ohne Gegenleistung hergibt, ist in einer Warenwirtschaft Müll." Und genau so abfällig werden auch die Empfänger einer Vorform des Existenzgeldes behandelt, die Hartz IV-Bezieher. Vom Existenzgeld für einzelne auf die Milliardenkredite von Strauß und Kohl für die kollektive DDR zu kommen, ist ein kleiner Schritt im Buch von Dath: "Das erste Untergangssignal" nennt er diese milde Gabe, "nicht der Ärger mit renitenten Liedermachern oder die massenhafte Flucht der verfassungsmäßigen Souveräne in den Westen."

Dath plädiert, trotz alledem, für einen Sozialismus. Und weil ja fast alle wissen, dass sozialistische Planwirtschaft zu dieser schrecklichen Unfreiheit führt, dekliniert er kurz die vorgebliche Freiheit der Konsum-Wahl durch: Was er kaufen kann, was wir an Lebensmitteln kaufen können, wird wesentlich von den Herren Karl und Theo Albecht, vom Aldi-Konzern, planmäßig festgelegt (bitte jetzt nicht an Penny-Markt und Rewe denken, deren Zeugs ist zum Verwechseln ähnlich) und die Verkehrspolitik, so ist in "Maschinenwinter" korrekt zu lesen, wird wesentlich von der Automobilindustrie planvoll diktiert so wie uns Bertelsmann den Leseplan vorlegt. Hätte der Platz im Buch gereicht, wäre er sicher noch auf die Wahlfreiheit zwischen SPD, CDU und FDP zu sprechen gekommen, die einzig wählbaren Parteien, glaubt man den planen Medien, öffentlich-rechtlich oder privat.

Weil ja nicht das komplette Buch referiert, sondern ein ordentlicher Kaufanreiz ausgelöst werden soll, wird ab jetzt nicht mehr viel verraten. Doch noch eine Warnung: Dath zitiert Lenin(!) und schreibt über den Nutzen von Berufsrevolutionären (die eine Hälfte der Linken fällt in eine gnädige Ohnmacht), um wenige Seiten später den Reformismus für nützlich zu erklären, wenn denn in der Zwischenzeit nichts anderes möglich sei (die andere Hälfte der Linken sinkt temporär danieder). Und um einen schönen Platz zwischen allen Stühlen einzunehmen, zitiert er auch noch, offenkundig zustimmend, Rosa Luxemburg, die sich abfällig über Sozialdemokraten, als "niederträchtige Hasenfüße" äußert. Bingo.

Dietmar Dath ist 1970 geboren und war immerhin mehrere Jahre Redakteur der FAZ und ist so ein Beweis dafür, dass die neue Gesellschaft im Schosse der alten ausgebrütet werden kann. Nur der Geburtszeitpunkt ist nicht bekannt. Um die Zeit bis dahin zu nutzen, plädiere ich für Zwangs-Seminare zu Daths Buch (da ist es wieder, das sozialistische Zwangs-System). In der ersten Welle sollten Medienleute daran teilnehmen. "Haben Sie es wieder nicht begriffen, Herr Spiegel-Redakteur? Sie bekommen kein Gehalt, sondern Bestechungsgeld". Und dann müssen alle den folgenden Satz aus "Maschinenwinter" interpretieren: "Herren und Knechte sind beide etwas anderes als Menschen, moralisch gesprochen: weniger."