Kurt Vonnegut ist nicht nur der Doyen der Nordamerikanischen Literatur. Er ist das andere Amerika, er repräsentiert jene USA, von der wir hoffen, dass sie nur untergetaucht, nicht untergegangen ist. Die USA des New Deal, die USA die sich, trotz des Hitlerfreundes Lindbergh und der anderen Isolationisten entschieden hatten, gegen die Nazis zu marschieren, die USA der Spielbergs, Hemingways, Bob Dylans und Tracy Chapmans.
Vonnegut schaut mit "Mann ohne Land", seinem neuesten Buch zurück, damit seine Leser nach vorne schauen können. Der Ton des Buches ist rauh. Unwirsch gibt der Dichter seine Klugheit preis, häufig mit dem Gestus `Das hättet ihr wirklich wissen können´. Und immer wenn es um sein Amerika geht, ist er in Sorge, so erinnert an Alexis de Tocqueville, der vor 169 Jahren über die USA zu sagen wußte, "dass in keinem anderen Land die Liebe zum Geld stärkeren Besitz von den Zuneigungen des Menschen ergriffen hat als dem unseren".
Wenn Vonnegut sich der Marxschen Überlegung, dass Religion Opium für das Volk sei, nähert, fällt ihm ein, dass Opium ein schmerzstillendes Mittel ist und in der Zeit der Nöte die Religion, in kleinen Dosen abgeben, ganz nützlich sein könne. Und auf fällt ihm, dass in der Zeit des Marxschen Zitates in den USA noch Sklaverei herrschte. Wer, so Vonnegut, wäre in den Augen eines gnädigen Gottes wohl besser weggekommen, Marx oder die Vereinigten Staaten von Amerika?
Eine radikale Passage über Drogen (zu denen Vonnegut natürlich auch Zigaretten und Alkohol zählt) beginnt munter, wenn Vonnegut erklärt, den Hersteller der Pall Mall-Zigaretten, verklagen zu wollen, denn obwohl er seit dem zwöften Lebensjahr raucht und jetzt zweiundachtzig Jahre alt ist, lebe er immer noch. Und "Das allerletzte, was ich jemals wollte , war, am Leben zu sein, wenn die drei mächtigsten Menschen auf dem ganzen Planeten Bush, Dick und Colin heißen. "Nur folgerichtig erinnert er an das Erweckungserlebnis des Alkoholikers Bush jr., dem Jesus erschienen ist und meint, "Andere Säufer haben rosa Elefanten gesehen.«
Respeklos, witzig und gnadenlos der Wahrheit verpflichtet sieht Vonnegut die USA als eine von fossilen Brennstoffen abhängige Nation und "das sind hier ja nicht die Fernsehnachrichten", da kann er kann ja offen reden: " Wie so viele Süchtige, denen der Entzug bevorsteht, begehen unsere Führer Gewaltverbrechen, um an das bisschen, was von dem, wonach wir süchtig sind, noch übrig ist, ranzukommen.«
Ohne ideologische Verbrämung, einfach so wie jedermann es sehen und sagen könnte, schreibt der Autor über Krieg, zum Beispiel über den in Vietnam, der dazu geführt habe, dass Millionäre zu Milliardären wurden und er ist sich sicher, dass der Irak-Krieg eben die Milliardäre zu Billionären befördern wird. Leider ist Jedermann oder Jedefrau doch nicht so einfach klug wie Kurt Vonnegut. Die Verführung den ideolgischen Unsinn des "Kampfes gegen den Terror" (gegen den Kommunismus, die gelbe Gefahr, das Rauschgift, die Emigranten, dicke Nasen, die Vogelgrippe oder gegen islamische Bauchtanzgruppen) zu glauben, ist offenkundig so stark, dass die Feindbilder den Zugang zur Wirklichkeit verstellen.
Kurt Vonnegut ist, nach allem was offizielle deutsche und amerikanische Politik kategorisiert, Antiamerikaner. Wie auch wir natürlich alle Antiamerkaner sind, weil wir ähnlich an den USA leiden, uns, durchaus um unseretwillen, Sorgen machen um die Vereinigten Staaten, die letzte verbliebene Supermacht.
In seiner Verzweiflung gelingen Vonnegut Zeilen von bittertstem, Swiftschem Witz, wenn er Marsmenschen in New York landen lässt, die, das ist die gute Nachricht: "nur obdachlose Männer, Frauen und Kinder aller Farben fressen und Benzin pinkeln." Zur schlechten Nachricht fehlt dem Autor die Zeit, er muß schnell noch einen Barbara-Streisand-Song als Hymne der Kannibalen entlarven ("People who need people"), die Erde retten und vor allem: Seinen Lesern eine USA zeigen, die es, neben den Bushs und Rumsfelds, eben auch noch gibt. Danke, Kurt.