IWF, WB, GATT, NAFTA, FTAA -
ihre Akronyme kotzen Sprache,
und was sie tun,
erstickt die Welt.
John Berger
Es ist der alte, immerwährende, asymmetrische Kampf: Die Kleinen gegen die Großen, die Armen gegen die Reichen, die Ohnmacht gegen die Macht, den John Berger erzählt. Es ist das Lied von der Liebe in Zeiten des Krieges, das der Autor auf wenigen Seiten mit Worten komponiert, deren strenge Klarheit das Ohr direkt erreichen. Ein Text wie ein langer Gesang, traurig und schön, mutig und verzweifelt. Ob der Kampf zu gewinnen ist, fragt das Buch "A und X" nicht. Es berichtet mit den Briefen einer Frau an ihren gefangenen Mann vom Alltag in einer Freiheit, der mitgefangen ist, solange die Zellen voll sind.
Irgendwo sitzen sie: Vielleicht hinter Gittern, vielleicht mit ihrer Kalaschnikow unter dem Arm, die Leute deren Name Terrorist sein kann oder Freiheitskämpfer, abhängig davon, welche Seite ihn ausspricht. Und manchmal müssen sie nur lange genug kämpfen, um mit neuen Namen ungeteilt anerkannt zu werden: Herr Ministerpräsident, Herr Abgeordneter. So wie vor Jahren Menachem Begin in Israel oder seit einiger Zeit Gerry Adams in Nordirland. Auf dem Weg dahin sind sie, in den scheinbar zivilisierten Ländern, die notwendigen Vorwände des Schreckens, um Rüstungsetats auszubauen, Kriege zu führen und den Zivilisten geistige Uniformen anzumessen.
"Habibi", nennt sie ihn, was im Arabischen "Geliebter" bedeutet, oder sie spricht ihn in ihren Briefen mit "mi Guapo" an, zwei Worte, die im Spanischen "mein Hübscher" heißen, und schreibt vom "Luder namens Gerechtigkeit", dem die beiden sich verschworen haben. Manchmal versucht sie nur, ihn in Gedanken "Knöchelchen für Knöchelchen" zusammenzusetzen. Denn er fehlt ihr, sehr. Seine Briefe sind verschollen. Aber zuweilen zitiert John Berger die Gedanken des Gefangenen: "Die Worte wurden so lange gefoltert, bis sie sich in ihr Gegenteil fügten", schreibt er und erinnert so an die doppelten Böden offiziellen Sprechens.
Man kann wissen, dass "Freie Marktwirtschaft" ein Lügenwort ist, denn frei sind nur die Wenigen, die den Markt beherrschen. Die anderen sind unfrei, häufig sogar in ihren Gedanken: Wenn sie die Worte von der "Leistungsgesellschaft" gedankenlos übernehmen, so, als müssten sie nur genug leisten, damit sie sich etwas leisten können. Das aber, so sagt der Kanon einer "Wachstumsgesellschaft", dürfen unbeschränkt nur die "Leistungsträger", jene vorgeblichen Eliten, die sich dann alles und alles leisten. Sie tragen in ihren Taschen schwer die Leistung anderer und an der "Verantwortung", die sie sich, Wahl für Wahl, Aktie für Aktie, aufbürden.
Es ist der Ort "Überall", in dem der Mann einsitzt und die Frau an ihn schreibt. Zwar weht eine Brise von Mittelmeer durch "Eine Liebesgeschichte in Briefen", zwar scheint der unendliche Nahostkrieg manchmal zum Greifen nahe. Doch wenn dann zwei "F 16" tief über dem Ort fliegen - "wenn sie schon unsere Geheimnisse nicht brechen können, dann wollen sie wenigstens unsere Trommelfelle zerstören", wie die Frau dem Mann schreibt - dann wird der eine Ort zur ganzen Welt. Denn das amerikanische Kampfflugzeug kennt die Himmel über Serbien, Palästina, Irak und Afghanistan. Und Lockheed-Martin, der Konzern der die Flugzeuge baut, behält seit Jahren die Lufthoheit an den internationalen Börsen.
Bergers Briefroman sucht und findet seine Ehrlichkeit in den einfachen Geschichten, dem Auslesen von Bohnen, über den kleinen Diebstahl von Wasser und den großen Unterschied zwischen Hoffen und Erwartung: Die Erwartung, schreibt die Geliebte, gehöre zum Körper, die Hoffnung aber zur Seele. Sie erwartet seinen Körper. Und hörte auf, "an ihre Zeit zu glauben", als sie dem Geliebten ein zweifaches lebenslänglich gaben. Im Nachsatz des Briefes steht dann: "PS. Hat der Kurier die Radieschen gebracht?" So liest man, wie die Hoffnung ein "Lebenslänglich" auf die Spanne eines Bund Radieschen verkürzen kann.
Zur Zeit ist viel von "Trompetenblech" zu lesen und zu hören. Nicht, dass das Land musikalischer geworden wäre. Die Armierung deutscher Militärfahrzeuge in den fernen Ländern sei, so sagen die Experten, nicht selten aus Trompetenblech, zu dünn für die Gefahren. So hat der asymmetrische Krieg auch eine asymmetrische Diskussion: Die Achse der Debatte verschiebt sich von der Frage "warum" zur Frage "wie". Wie sind wir ausgerüstet, um diese Sandalenträger, diese Ziegenhirten und Kameltreiber besiegen zu können? Nicht gut genug, weiß der Chor der Rüstungsindustrie zu singen, nicht gut genug, säuseln die Kriegsberichterstatter auf den Kanälen. John Berger kennt den langen Atem der Bedrückten: "Wir kämpfen, um uns selbst treu zu bleiben". Und sein Buch weiß auch von der Liebe, von der brennenden Geduld der Gedemütigten. Das ist ein Wissen, von dem in den Talk-Shows nicht die Rede ist.