Der Führer hatte es nicht getan, Adenauer tat es nicht mehr und von Ludwig Erhard wußte man es nicht so genau: Das, was in dunklen Schlafzimmern geschah, das worüber man nicht sprach in den Fünfziger Jahren der Bundesrepublik, das mit der Sexualität. Und weil das so war, weil Menschen noch in den Sechzigern wegen Kuppelei verurteilt wurden, wenn Leute unter 21 "es" unter ihrem Dach machten, weil das ganze Land eine prüde Anstalt zur Unterdrückung der Triebe war, mussten sich die damals Jungen empören. Mädels zeigten ihren blanken Busen, eine ganze Kommune zeigte, schrecklich kommunistisch, ihre nackten Hintern, das F-Wort kam in den täglichen Gebrauch und die Revolution brach aus. Beinahe. Bis heute messen viele der 68er Generation deshalb dem Sex und dem Darüber-Reden eine große Bedeutung zu. Ekkes Frank, der Autor von "Störungen" gehört dazu.
Zwei Freunde, heute über sechzig, finden sich, verlieren sich, bleiben Freunde ein Leben lang, werden in "Störungen" zu Mustern der Entwicklung im alten Westdeutschland. Tobias, der Gelegenheitsschauspieler, der Frauenwechsler und Ex-Student der Philosophie, hat Erektionsstörungen und ahnt in ihnen den kommenden Tod. Sein Schulfreund Georg, einer der beim Frauenwechseln immer auch lieben muss, lebt in der dritten, scheinbar festen Beziehung. Die Verstörung des Schriftstellers liegt im Kinderwunsch der Momentanen, mit der er schon alt werden wollte, aber nicht so plötzlich, Vater und Opa in einem. Es ist die Late-Life-Crisis, von der die beiden ergriffen sind. Und von ihren Befindlichkeiten lebt das Buch. Zugleich legt es einen Bypass in die Politik. Selten für Befindlichkeitsbücher, legt es sich hie und da mit der aktuellen Einheitsrepublik an und schaut zurück auf die Zeit der Politisierung.
Es gibt drei Kategorien von 68er-Erinnerungsbüchern. Da sind zum einen die Abschwörer und Bereuer. Zwar war sie ganz spannend, ihre Jugend, aber auch schrecklich. Was haben wir alles Schlimmes getan?! Längst sitzen sie im Speck der Angepassten und blenden aus, dass die andere Seite, die den Vietnamkrieg unterstützte, die das Berufsverbot anwandte und die Medienlüge als Keule nutzte, auch nicht zimperlich war. Die Zweiten, das sind die alten Kämpfer, die jede Fahne auf der Barrikade von damals erzählen können und denen heute der Lehnstuhl zur Kanzel ihrer sich wiederholenden Brandreden geworden ist: DAMALS! Und dann gibt es noch solche wie den Ekkes Frank, der die Vielfalt der alten, zuweilen fortdauernden Mühen der Emanzipation aus 68 kennt, dem die Gewerkschaften nicht fremd sind und fremd nicht die Friedensbewegung, die Notstandsgesetze und, nota bene, die Sexualität. Sogar die DKP, die westdeutsche kommunistische Partei, taucht in seinem Buch auf, als ziemliche Normalität und nicht als ausgebrochenes Ungeheuer aus den kalten Tiefen des Dogmas.
"Gewalt gegen Sachen," sagt Annemie, die Temporäre von Georg, "waren für euch damals akzeptabel". Und ihr DAMALS steht auf zwanzig Jahre jüngeren Füssen wenn sie fragt: "Aber - was hat es gebracht, das alles?" Weil für Annemie alles was bringen muss, geht Georg einen bürgerlichen Gelderwerb an. Das wird böse enden. Die Beziehung zerbricht. Auch mit Tobias geht es zu Ende, der Lungenkrebs rafft ihn dahin. Georg hat sich aus dem Endzeitstrudel längst in Richtung Italien gelöst. In den Marken findet er mit dem Geld der verstorbenen Eltern sein Haus und so erreicht die Erbengeneration ihre finale Bestimmung: "Was er nie für denkbar gehalten hatte, jetzt würde es beginnen: ein Leben auf dem Land", lässt Ekkes Frank den Georg sagen und noch einmal rauscht der Sexus in den Pinien auf, um dem Ende eine furiose Inszenierung zu spenden. Es ist vollbracht, die Leiden des alten G. enden hier. Und Annemies Frage findet leider keine Antwort.