Wann ist eine Nachricht keine Nachricht: Wenn sie Schlechtes über die USA enthält. Schlechtes Wetter in den USA nehmen die deutschen Norm-Medien noch wahr. Aber die Fortsetzung der Krankenhaus-Bombardierung in Kundus? Ja, wenn es Syrien wäre, wenn es die Russen gewesen wären. Doch 500.000 Unterschriften, von den Ärzten ohne Grenzen gesammelt, um Aufklärung von der US-Regierung über das Kunds-Krankenhaus-Bombardement zu verlangen? Das ist im deutschen Norm-Medien entweder nicht zu finden oder nur im Kleingedruckten.


In der Nacht zum 03. Oktober 2015 bombardierten US-Flugzeuge das Trauma-Zentrum der französischen Organisation Ärzte ohne Grenzen (Médecins sans Frontièrs, MSF) in der afghanischen Provinzhauptstadt Kundus. MSF korrigierte die Opferzahl am 11. Dezember nach oben: mindestens 42 Menschen wurden durch das Bombardement umgebracht, darunter 14 Mitarbeiter, 24 Patienten und vier betreuende Angehörige. Die Koordinaten des Krankenhauses waren der NATO bekannt, trotzdem legte das US-Militär die Einrichtung mit mehreren gezielten Luftschlägen Anfang Oktober in Schutt und Asche. Kurz zuvor, am 09. Dezember, übergab MSF der US-Regierung in Washington eine Petition mit über einer halben Million Unterschriften, um eine vollständige Aufklärung der Angriffe zu fordern.

Die weltweit tätige Ärzteorganisation verlangt eine unabhängige Untersuchung durch die Internationale Humanitäre Ermittlungskommission (IHFFC), was von Afghanistan und den USA bisher verhindert wird. Die IHFFC ist die einzige Instanz, die zur Untersuchung von Verletzungen des humanitären Völkerrechts nach der Genfer Konvention errichtet wurde. Der Vorfall wurde bisher nur durch das US-Militär, die afghanischen Streitkräfte und die NATO – im Bericht der NATO geht es nur um die Feststellung ziviler Opfer – untersucht. Der von den US-Streitkräften erstellte Bericht soll 3.000 Seiten umfassen und ist nicht öffentlich.

Das US-Militär gab in einem fünfseitigen Auszug des Berichts auf einer Pressekonferenz in Kabul lediglich bekannt, dass sich der Vorfall in Folge menschlichen Versagens – alles andere wäre ein Eingeständnis für ein Kriegsverbrechen – ereignete und durch organisatorische Mängel begünstigt wurde. Die US-Streitkräfte sollen nicht gewusst haben, dass es sich bei dem Angriffsziel um das Trauma-Zentrum von MSF handelt. der US-Luftangriffe seien „Personen, die eine Gefahr für die Streitkräfte darstellten" gewesen. MSF behandelt alle hilfsbedürftigen Personen – auch Taliban –, unabhängig davon, ob, oder zu welcher Konfliktpartei sie gehören. Das Angriffsobjekt wurde von den ausführenden Militärs nicht verifiziert und die an der Ausführung beteiligten Personen angeblich vorerst suspendiert. Über die Verantwortlichen macht das US-Militär keine Angaben.

MSF widerspricht der offiziellen US-Darstellung. „Es reicht nicht aus, wenn die Täter die einzigen Ermittler sind“, zitiert MSF Jason Cone, den Geschäftsführer der Organisation. Laut Cone wurden der US-Armee die GPS-Daten des Krankenhauses vor den Angriffen mitgeteilt. Dieses Vorgehen entspricht der Praxis von MSF in Krisenregionen und dient der eigenen Sicherheit. Die US-Erklärung zur Bombardierung der Klinik in Kundus bezeichnet MSF als „ungenügend“ und verlangt die Veröffentlichung des ganzen Berichts. Laut der deutschen Sektion der Organisation wirft der überarbeitete Auszug „mehr Fragen auf als er Antworten liefert“ und das humanitäre Völkerrecht wurde nicht erwähnt, man bezieht sich dafür auf geheime Einsatzregeln der US-Armee. Eine Strafanzeige wurde nicht gestellt. „Unsere Priorität ist eine unabhängige Untersuchung“, heißt es bei MSF. Die Organisation hat einen eigenen Bericht über den Angriff unter http://kunduz.msf.org/# veröffentlicht.

Auch Zeid Ra`ad Al Hussein, UN-Hochkommissar für Menschenrechte, fordert eine unabhängige Untersuchung des Angriffs. erhofft sich dadurch die Klärung aller „widersprüchlichen Angaben“ und die Bekanntmachung sämtlicher Details. Außerdem sollen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht festgestellt und Empfehlungen zur künftigen Vermeidung ähnlicher Vorfälle abgegeben werden können. „Für die weitere Arbeit humanitärer Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen ist entscheidend, dass die Konfliktparteien das humanitäre Völkerrecht respektieren“, schreibt MSF auf Anfrage.

Nach der Zerstörung des einzigen Trauma-Zentrums der Region „haben hunderttausende Menschen im Nordosten Afghanistans keinen Zugang zu medizinischer Versorgung mehr“, so MSF. Eine Antwort der US-Regierung auf die Forderung von MSF – weltweit haben sich in weniger als zwei Monaten über 547.000 Menschen an der Petition beteiligt – steht aus.

Der Angriff auf das Trauma-Zentrum war der erste von zwei Angriffen auf ein MSF-Krankenhaus durch die USA oder ihrer Partner in kurzer Zeit. Ende Oktober wurde eine weitere Einrichtung, in Saada, einer nördlichen Provinz im Jemen, durch die von Saudi-Arabien geführte Koalition zerstört. Auch bei diesem Kriegsverbrechen waren die Koordinaten der Klinik laut MSF bekannt. Das Krankenhaus wurde ebenfalls komplett zerstört und war für 200.000 Menschen in der Region zuständig.