Der 15-jährige Michael Polischka (David Kross) und seine Mutter Miriam (Jenny Elvers-Elbertzhagen) müssen aus dem Berliner Villenvorort raus und ab an den sozialen Rand der Stadt, nach Neukölln. Der tiefe Fall aus der Villa mit Pool in die Mietskaserne mit keiner Aussicht trifft Michael härter als seine Mutter: In seiner Schule ist er der Außenseiter, das vorgebliche Reicheleutekind, umgeben von rülpsendem, rüpelndem Auswurf.

Denn sie sind rausgeworfen aus allen Rastern, den Heimatländern ihrer Eltern entfremdet, im Land der Deutschen, in das sie hineingeboren wurden, als Fremde unter Fremden, sind sie der letzte Dreck. Und damit sie sich dann und wann mal, bevor sie auf dem Arbeitsamt die Erfahrung machen, dass für sie nicht einmal Drecksarbeit zu haben ist, als Sieger fühlen dürfen, nehmen sie die anderen, die Schwächeren unter ihre Stiefel.

Michael Polischka treibt keine soziale Analyse. Er wird von einer der üblichen Jugendgangs getrieben, sie nimmt ihm seine Turnschuhe, sein Geld, sein Handy ist der Gang zu billig, und schlagen ihn blutig. Ab sofort hat Michael regelmäßig Geld abzuliefern, das bewahrt ihn davor zum Krüppel geschlagen zu werden, aber von der regelmäßigen Prügel, der Demütigung und der Machtdemonstration kann er sich nicht frei kaufen.

Michaels Mutter tut derweil etwas für ihren Hormonhaushalt, Männer kommen, Männer gehen, ein Job ist nicht in Sicht. Nach heftigen Auseinandersetzungen mit ihrem Sohn, der nichts wie raus aus Neukölln will, sucht sie Arbeit, natürlich solche, die ihrem guten Aussehen gemäß sein könnte. Mal sehen wir sie vor einem Laden der "Botox to go" ( dort spritzt man Falten im Vorbeigehen weg), anbietet und könnten denken, es sei ein Scherz des Regisseurs, weit gefehlt, den Laden gibt es. Dann wieder sitzt sie, wegen eines Bewerbungsgespräches, in einem Café, dessen Tische von Nobelautos, die ab 50.000 Scheinen aufwärts gedealt werden, umstellt sind. Berlin-Kenner wissen: Der Laden ist keine 500 Meter von der Falten-Wegspritz-Anstalt entfernt.

Frau Polischkas Sohn, zum x-ten Mal verprügelt, braucht Schutz. Wie in den guten alten Feudalsystemen gibt es Schutz vom König und der König in den bösen, modernen Wirklichkeiten ist der Drogen-Großhändler. Der Regisseur zeichnet den Händler zu Beginn als einen Koks-Samurai: Hart aber gerecht, besorgt um die "Familie", gnadenlos zu denen, die draußen sind. Weil Michael so harmlos, so ehrlich aussieht, gibt der Dealer ihm einen Job und seinen Schutz: Wenn andere böse zu seinem Domestiken sind, dann kann er noch viel böser, das macht er Polischkas Verfolgern klar.

Detlev Buck, mit Filmen wie "Karniggels", "Wir können auch anders" oder "Männerpension", als der ewige Possenreisser des deutschen Films vermerkt, kann mit seiner jüngsten Arbeit, mit "Knallhart" eben, auch völlig anders. Hie und da gibt es einen Lacher, aber eher aus Verlegenheit. Buck schaut hin, hält drauf und zeigt ein Berlin, dass aus den Hochglanzbroschüren nicht zu erfahren ist: Dreckig, brutal, gemein. Auch der vorgebliche Samurai wird später zu dem was er ist: Ein Händler, am Profit interessiert, am sicheren Gang der Geschäfte.

Vom gewöhnlichen Marihuana-Boten steigt Polischka in die oberen Ränge der "Familie", in den Job des Koks-Kuriers, auf. Das muss man sehen, wie der Stoff in der Altbauwohnung des Zwischenhändlers neben dem Kinderspielzeug deponiert wird, wie der Händler normale Familie spielt oder auch, außerhalb seines Jobs, relativ normal ist. Und man muss immer wieder die Entdeckung Bucks, den Hauptdarsteller David Kross, bewundern: Wandlungsfähig und kühl geht er durch den ersten großen Film, den er je gedreht hat, ein blasses Gesicht, in dem die Spuren des Überlebens gut zu sehen sind. Jenny Elbers-Elbertzhagen spielt sich selbst und das kann auch nicht jeder.

Bucks Film erzählt von den täglichen kleinen Kriegen am Rand der großen Städte und zugleich malt er den Bürgerkrieg von morgen an die Wand, ein Krieg, dessen Vorboten wir im letzten Jahr in den französischen Banlieues erleben durften, ein blinder Krieg der Armen gegen alles, was ihnen quer kommt, ein Krieg den keiner gewinnen kann. Warum, verdammt, soll der Auswurf das Eigentum oder das Leben der anderen achten, wenn er in Wahrheit nichts besitzt und sein eigenes Leben offenkundig nichts wert ist?

"Knallhart" gibt keine Antworten, hält kein Happy-End bereit, obwohl das Drehbuch an einer kleinen, zarten Liebesgeschichte zwischen Michael und einem türkischen Mädchen spinnt. Buck ist der Versuchung, Kitsch-Soße über die Probleme zu gießen, nicht erlegen. Und er schildert jene unserer ausländischen Nachbarn, die in den Verhältnissen zu unangenehmen Arschlöchern geworden sind als unangenehme Arschlöscher, ohne die gesellschaftlichen Ursachen auszublenden. Respekt, Alter.